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Tod im Thurhof  
F r a g e n ...  

Die erste und blitzschnell erfolgte behördliche Reaktion auf das augenauf-Communiqué bestand in einer Erklärung, wonach Herr N. an einer Überdosis Drogen gestorben sei. Das tönt immer plausibel, vor allem, wenn es sich um einen jungen, schwarzen Asylbewerber handelt,- derjenigen Minderheit also, welcher die tägliche Hetzpropaganda den Drogenhandel in unserem sauberen Land unterstellt. ...
Die dem Todesfall vorausgehenden Krankheitssymptome werden einer "harmlosen Kinderkrankheit" (Windpocken) zugeschrieben,- einer Krankheit, welche bei Erwachsenen, bei Personen mit schwachem Immunsystem und/oder bei falscher Behandlung einen alles andere als "harmlosen" Verlauf nehmen kann (Meningitis, Enzephalitis).

 
 

Die allzu spontanen Erklärungsversuche für die Tragödie, Widersprüche in der Schilderung des Ablaufs, sowie die Krankheitsgeschichte von N. werfen eine ganze Reihe von Fragen auf.

 
  1. Adäquate medizinische Versorgung? Seitenanfang
 

Als sich die ersten Krankheits-Symptome zeigten, wurde dem Mann ein Arztbesuch verweigert. Stattdessen erhielt er ein Schmerzmittel aus der Hausapotheke.

  • ist es üblich, dass Krankheitssymptome erst einmal ohne Diagnose mit Schmerzmitteln unterdrückt werden?
  • was für ein Schmerzmittel wurde abgegeben? Die Fachliteratur warnt z.B. im Fall von Windpocken ausdrücklich vor der Vergabe von Acetyl-Salizylaten (Aspirin u.ä.), da sich heftige Komplikationen ergeben können (Reye's Syndrom).
  • ist die Verschlechterung des Zustandes in den folgenden Tagen u.U. mit eine Folge falscher Medikamentierung?

 
  2. Diagnose ohne Folgen? Seitenanfang
 

Gemäss den Behörden wurde bei dem Patienten "Windpocken" diagnostiziert. Dies sei eine "in Heimen häufig vorkommende Krankheit". Windpocken ist äusserst ansteckend; spätestens nach der Diagnose hätte der Mann von den MitbewohnerInnen isoliert werden müssen.

  • wie umfassend wurde der Patient untersucht? Die Symptome hätten dazu führen müssen, dass genauere Abklärungen von ev. aufgetretenen Komplikationen gemacht werden.
  • wie gut funktionierte die Kommunikation zwischen Arzt und Patient (sprachliche Verständigung)? Wurde ggf. ein Dolmetscher beigezogen?
  • wurden die nicht Betroffenen (Heimleitung, Betreuungspersonal, Mitbewohner) vom Arzt über Krankheit und deren mögliche Verlaufsformen informiert? Wurden sie über die Symptomatik möglicher Komplikationen und dem entsprechenden Verhalten instruiert? Wurden Empfehlungen zur Verhinderung von Ansteckungen abgegeben?
  • warum wurde der Arzt am Dienstag nicht wieder geholt, obwohl sich der Zustand von N. inzwischen weiter verschlechtert hatte?

Die Symptome des Patienten passten zwar zu Windpocken, wiesen jedoch auf eine schwere Form der Erkrankung hin. Auch das parallele Vorhandensein einer weiteren Krankheit konnte nicht ausgeschlossen werden.

 
  3. Notfall-Ambulanz? Seitenanfang
 

Spätestens, als der Mann Blut erbrach und unter Halluzinationen litt ("blutende Windpocken", ev. Enzephalitis), hätte klar gewesen sein müssen, dass es sich nicht nur um "harmlose Windpocken" handelte und die Ambulanz hätte notfallmässig aufgeboten werden müssen.

  • Weshalb unterliessen die Verantwortlichen (Heimleitung, Nachtwache) dies, obwohl sie vom Patienten und von anderen Heimbewohnern mehrfach darum ersucht wurden?

Hier stellt sich allgemein die Frage:

  • wie gut sind Betreuungspersonen in medizinischen Fragen ausgebildet? wie lauten die Instruktionen für das Verhalten bei einem derart heftigen Krankeitsverlauf?
  • was wird am Betreuungskonzept geändert, dass sich ein solcher Fall nicht wiederholen kann?

 
  4. Todesursache? Seitenanfang
 

In den ersten Agenturmeldungen (16:31) hiess es noch, zur Abklärung der Todesursache müsse die gerichtsmedizinische Untersuchung abgewartet werden. Knapp drei Stunden später (19:26) wurde der Tod "einer Überdosis Drogen" zugeschrieben. Da der Mann im Heim nicht als Drogenkonsument bekannt war, stellen sich auch hier einige Fragen.

  • konnte eine genauere Untersuchung die Drogenthese erhärten? (Schnelltests sind fehlerbehaftet)
    • falls ja
      • um welche Droge(n) handelte es sich?
      • war eine Überdosis tatsächlich die primäre Todesursache?
      • wie wurde(n) die Substanz(en) appliziert?
      • besteht die Möglichkeit einer Interaktion zwischen verabreichten Medikamenten und der eingenommenen Droge(n)? Wurde der Patient vom Arzt auf die Gefahr hingewiesen? Und in diesem Zusammenhang: War der Mann dem behandelnden Arzt als Drogenkonsument bekannt?
      • ergab die gerichtsmedizinische Untersuchung, dass der Mann regelmässig Drogen konsumierte?

      angesichts des schlechten Zustandes des Patienten ist kaum anzunehmen, dass er sich "zum Spass" Drogen verabreicht hatte, daher:

      • besteht die Möglichkeit, dass der Patient seine durch die abgegebenen Medikamente nur ungenügend gedämpften Schmerzen mit einer illegalen Substanz zu lindern versuchte (in Unkenntnis der Dosierung)?
    • falls nein

      begründet sich die Tragödie in

      • unterlassener Hilfeleistung?
      • falscher Medikation?
      • zu oberflächlicher Diagnose?
      • allg. Konstitution des Patienten?
      • nicht erkannten Komplikationen?

      .. oder von allem ein bisschen?

 
 

Egal, wie man es dreht und wendet; egal, wie die detaillierten Antworten letztendlich lauten: Unter dem Strich bleiben eine ungenügende medizinische Versorgung und eine zu lange Ignoranz der Ernstheit des Zustandes des Patienten.

augenauf, im Februar 02