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  Das Gewaltmonopol in der Praxis
Schöne Lippenbekenntnisse
Von der Schwierigkeit, sich zu beschweren
März 2004
 

Ein Kaffeeautomat gibt auf Knopfdruck einen wohlriechenden, standardisierten Kaffee aus. Ob es sich wirklich um Kaffee und nicht um einen ausgetüftelten Chemiemix handelt, verrät erst der Nachgeschmack im Gaumen. Nicht viel anders verhält es sich mit der "Unabhängigkeit" der Beschwerdestelle gegen polizeiliche Übergriffe.

Aufgrund verschiedener Vorkommnisse musste die Basler Polizei in den vergangenen Monaten wiederholt heftige Kritik seitens der Medien entgegennehmen. Von unverhältnismässigem Vorgehen, übertriebener Gewaltanwendung bis hin zu ausgelebtem Rassismus war die Rede. Auch augenauf Basel gelangte auf Wunsch verschiedener Betroffener an die Ombudsstelle, sowie mehrere Male an den zuständigen Regierungsrat Jörg Schild sowie seinen Polizeikommandanten Roberto Zalunardo.

 
 

Die Reaktionen waren - analog zum oben beschriebenen Kaffeeautomaten - wohlduftend und standardisiert: Leider seien Polizisten auch nur Menschen, leider gebe es überall eventuell, gelegentlich und unvermeidbar Fehlleistungen. Selbstverständlich werde man jeder Beschwerde nachgehen, sie neutral und gewissenhaft prüfen und gegebenenfalls, d. h. wenn an den unwahrscheinlichen Vorwürfen tatsächlich etwas dran sein sollte, die Konsequenzen ziehen - allerdings erst, wenn ein gerichtliches Urteil gegen womöglich fehlbare PolizistInnen vorliege ..., denn selbstverständlich gelte auch hier die Unschuldsvermutung. Und schliesslich gebe es ja eine "neutrale, unabhängige Beschwerdestelle", an die sich Personen, die meinten, Opfer von Polizeiübergriffen geworden zu sein, wenden könnten. Bei schlimmeren Fehlleistungen sei auch die Staatsanwaltschaft zur Entgegennahme von Anzeigen bereit.

Die Wahrscheinlichkeit, dass Vorwürfe berechtigt seien, sei jedoch eher klein, da es sich bei PolizistInnen um besonders sorgfältig ausgewählte, charakterfeste und stresserprobte Menschen handle, die eine ausgezeichnete Ausbildung absolviert hätten und zudem laufend weitergebildet würden ...

Egal, ob in Interviews, an Podien oder im schriftlichen Verkehr - die gebetsmühlenartig wiederholten Phrasen sind stets dieselben.

 
 

Es ist nicht einfach, sich zu beschweren ...

Nun existiert zwar tatsächlich eine so genannte "unabhängige Beschwerdestelle", wenn sie auch in keinem öffentlichen Telefonbuch und auf keiner staatlichen Webseite aufgeführt ist. An der "Unabhängigkeit" darf zudem gezweifelt werden, da sie demselben Departement unterstellt ist wie die Kantonspolizei und von einem Mann geführt wird, der gelegentlich auch als Departementssprecher auftritt - André Auderset. Beschwerden werden eher abgewimmelt als ernsthaft bearbeitet, anstelle einer sachlichen Auseinandersetzung wird mit Allgemeinplätzen sowie mit Zitaten der sich selbstverständlich nicht selbst belastenden Beschuldigten geantwortet. Immerhin kommt Auderset in etwa fünf Prozent der Fälle nicht darum herum, den Beschwerdeführenden mit Bedauern zu eröffnen, dass offenbar die Kommunikation zwischen Bürger und Polizei nicht optimal gewesen sei, die beschuldigten BeamtInnen sich jedoch ansonsten korrekt verhalten hätten.

Beschwerden über strafrechtlich relevante Verfehlungen von Beamten nimmt die Stelle nicht entgegen - die Opfer werden an die Staatsanwaltschaft verwiesen.

Der mangelnde Bekanntheitsgrad dieser Stelle, die Selektion der bearbeiteten Fälle sowie die für Opfer demotivierende Abfertigungsart führen in der statistischen Bilanz zu einem verzerrt positiven Bild der Polizeiarbeit: wenig Beschwerden generell und im Speziellen kaum "gerechtfertigte" Beanstandungen.

 

... und schon gar nicht, Recht zu bekommen

Dass relativ wenige Fälle zur Staatsanwaltschaft gelangen, liegt nicht daran, dass es nur wenige gibt. Der Grund ist vielmehr in der Situation der Opfer zu suchen: Typischerweise sind es Angehörige sozial unterprivilegierter Randgruppen, die Polizeiübergriffe erleben - Menschen anderer Hautfarbe, Asybewerbende, jugendliche Opponierende und Suchtkranke.

Gründe dafür, dass eher die Faust im Sack gemacht, als eine Anzeige aufgegeben wird, gibt es viele. Mangelnde staatskundliche Kenntnisse, fehlende Anwaltskontakte, sprachliche Barrieren, fehlendes Vertrauen in die Untersuchungsbehörden oder einfach Angst vor einer sich hinziehenden Auseinandersetzung mit "der Obrigkeit", welche dank beinahe schon automatisch erfolgenden Gegenklagen der kritisierten PolizistInnen oft in einer Verurteilung der Opfer endet.

Kommt es dennoch zu einer Gerichtsverhandlung, so lassen sich Polizeiübergriffe in dunklen Gassen oder im geschützten Polizeiposten nur selten beweisen. Da steht dann die Aussage eines "Underdogs" gegen die von "verdienten und unbescholtenen" PolizistInnen. Und selbst ärztlich attestierte Prellungen, Abschürfungen und Würgemale werden - falls nicht als "Selbstverletzung" klassiert - als Hinweis auf "vehemente und gewalttätige Gegenwehr" gedeutet, welche nur durch Anwendung "verhältnismässiger Gewalt" gebrochen werden konnte. Resultat: Die Opfer werden zu Tätern und die das Gewaltmonopol repräsentierenden Täter bleiben weiterhin "unbescholten".

 

Verzeigungsfördernde Weiterbildung

Kritik an der Kompetenz von Polizeibeamten begegnet die Führungsetage mit dem Hinweis auf ständige "Weiterbildung". Wie diese konkret aussieht, wird jedoch nicht kommuniziert, mit einer Ausnahme - Polizeikommandant Zalunardo: «Wir versuchen unsere Mitarbeitenden mit verstärkten Ausbildungsangeboten noch besser auf schwierige Situationen im Umgang mit unserer Kundschaft vorzubereiten. Der Vorsitzende Gerichtspräsident, Jeremy Stephenson, hat - auf meine Einladung - gemeinsam mit mir im letzten Sommer eine Ausbildung für das ganze Korps durchgeführt, bei der die rechtlichen Voraussetzungen für Ehrverletzungsverfahren wieder einmal ausführlich erörtert wurden. Gleichzeitig gilt es aber auch, diesen zunehmenden Verunglimpfungen und tätlichen Angriffen auf Polizisten klar entgegenzutreten ...» (BaZ vom 26.1.2004)

Statt den deeskalierenden Umgang mit "schwierigen" Menschen zu thematisieren, wird an Weiterbildungskursen also gelernt, wie man diese am effizientesten in die Pfanne haut ...

Die Empfehlung der "Kommission gegen Rassismus und Intoleranz" (ECRI) des Europarats sieht anders aus: «Sowohl in der Grundausbildung als auch in der Fortbildung der Polizei sollte mehr Gewicht auf eine faire und gleiche Behandlung aller Personen, auch der Ausländer, gelegt werden. Vor allem sollte mit eindeutig diskriminierenden Polizeipraktiken wie dem ohne ersichtlichen Anlass erfolgenden Anhalten und Durchsuchen von Angehörigen gewisser Gruppen von Minderheiten wie Schwarzafrikanern Einhalt geboten werden.» (ECRI, "Dritter Bericht über die Schweiz" vom 27. Juni 2003, Absatz 35)

 
 Typisch? 

Frage: «Herr Stephenson, wie oft sitzen bei Ihnen am Strafgericht Polizeiangehörige auf dem 'Sünderbänklein'»?

Jeremy Stephenson: «Diese Fälle gibt es auch, allerdings in einer nur geringen Anzahl. Schuldsprüche gegen Polizisten wegen solcher Delikte sind noch seltener. Es kommt beispielsweise vor, dass ein fremdländischer Täter verzeigt wird und dieser gleichzeitig als Retourkutsche eine Anzeige gegen den betreffenden Polizisten wegen Ehrverletzung oder Rassismus einreicht. Vor Gericht stellt sich dann aber meist heraus, dass diese Anzeige nicht fundiert ist.»

Aus einem Interview der "Basler Zeitung" vom 26. Januar 2004