Bulletin Nr. 47; Dezember 2005
Die Diskussion um das neue Zürcher Polizeigesetz
Polizeistaat? – Nein danke!
augenauf Zürich will die Diskussion um das neue Zürcher
Polizeigesetz für eine breite Sensibilisierungskampagne
gegen Übergriffe und Gewalt der Polizei nutzen. Ein Komitee
gegen das Polizeigesetz soll im Januar 2006 aus der
Taufe gehoben werden.
Im Sommer 2005 hat der Regierungsrat des Kantons Zürich
den Entwurf für ein neues Polizeigesetz in die Vernehmlassung
geschickt. Zürich ist spät dran (Bern hat ein solches
Polizeigesetz bereits seit zehn Jahren), weil der bevölkerungsreichste
Schweizer Kanton beim ersten Anlauf in den frühen
1980er-Jahren kläglich gescheitert ist. In der Volksabstimmung
wurde eine nur noch von der SVP verteidigte Vorlage
mit über 70 Prozent Nein-Stimmen verworfen.
Der zweite Anlauf: Repression und digitale Überwachung
Beizufügen ist dieser guten Nachricht, dass die damalige
Abstimmung im Zeichen der massiven Übergriffe der Polizeiorgane
während der Zürcher Jugendbewegung (remember
«Dani, Michi, Renato und Max») und der aufkeimenden Kritik
am autoritären Staat des «Kalten Krieges» stattgefunden hat.
Nichts kann die Differenz der politischen Grosswetterlagen
von damals und heute besser illustrieren, als die folgende
Aussage eines damaligen SP-Kantonsrates vom 24. November
1983. Wir zitieren: «Drei minimale Anforderungen sind an
ein neues Polizeigesetz zu stellen: Der Steuerzahler muss die
Folgen kennen, der Bürger muss um seine Rechte gegenüber
der Polizei wissen, während die Polizisten an der Front umgekehrt
wissen sollen, was sie dürfen und was nicht. Das vorgeschlagene
Polizeigesetz erfüllt keine dieser Anforderungen!»
Der SP-Parlamentarier wurde einige Jahre später zum Regierungsrat
gewählt und amtet heute als Verkehrsminister in
Bern.
Der neue Entwurf für ein Zürcher Polizeigesetz ist denn
auch eine weit gehende Kopie der 1983 abgelehnten Vorlage –
angereichert mit einer Serie von neuen Wünschen der Polizei
in Sachen Überwachung, Datenverarbeitung und polizeilichen
Zwangsmitteln. Viele der neu zu legiferierenden Instrumente
entspringen dem Wunsch der Autoritäten, gesellschaftliche
Problemlagen mit polizeilichen Mitteln zu lösen. So sieht der
Entwurf etwa die Möglichkeit vor, Alkis und Junkies wieder für
mehr als die üblichen 24 Stunden in polizeilichen Gewahrsam
zu nehmen. Enthalten ist auch die gesetzliche Absicherung
der polizeilichen Wortschöpfung der «gewaltbereiten Person»:
Die Polizei erhält ausdrücklich den Auftrag, entsprechende
Listen zu führen. Der Entwurf enthält auch den radikalsten aller
Wegweisungsartikel: Ferngehalten werden sollen Personen
unter anderem, wenn diese «durch ihr Verhalten beim Publikum,
namentlich bei Passanten, Anwohnern oder Geschäftsinhabern,
begründet Anstoss oder Furcht» bewirken … .
Die Kritik von augenauf
In ihrer Vernehmlassung hat sich die Menschenrechtsgruppe
augenauf nicht auf die Kritik einzelner Paragraphen beschränkt.
In den allgemeinen Überlegungen schreibt augenauf
unter anderem: «Wir gehen davon aus, dass sich ein zivilisierter
Rechtsstaat vom Polizeistaat dahingehend unterscheidet,
dass er die auf seinem Territorium lebenden Menschen
vor Willkürmassnahmen und Übergriffen der mit der Durchsetzung
des staatlichen Gewaltmonopols beauftragten
BeamtInnen schützt. Mit dem vorliegenden Gesetzesentwurf
sollen die Kompetenzen der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten
weit über das bisher auf der Basis der polizeilichen
Generalklausel und der entsprechenden Gerichtspraxis Mögliche
erweitert werden. Von den konkreten Grenzen polizeilichen
Handelns – soweit sie über die bereits von der Verfassung
garantierten Verhältnismässigkeits- und Gesetzmässigkeitsprinzipien
hinausgehen – ist im Entwurf kaum die Rede.
Wenn dann einmal von den Rechten des Einzelnen gegenüber
der Polizei die Rede ist, dann wird in der Regel die einschränkende
Bemerkung «soweit es die Umstände erlauben» hinzugefügt.
[…] Ein wirksamer Schutz der BewohnerInnen eineszivilisierten Rechtsstaats vor Willkürmassnahmen und Übergriffen
der Ordnungskräfte erfordert unserer Meinung nach
zweitens, dass mit so genannten «affirmative actions» jene Personengruppen
geschützt werden, die einer erhöhten Gefahr
ausgesetzt sind, Opfer von Willkürmassnahmen zu werden.
Angesichts der Vielzahl von Fällen, in denen Polizeibeamtinnen
und Polizeibeamten unrechtmässiges Verhalten vorgeworfen
wurde und angesichts der Empfehlungen internationaler
Organisationen an die Adresse der Schweiz halten wir
es drittens für notwendig, dass im Rahmen des Polizeigesetzes
die Rechtsgrundlage für die Einrichtung einer
unabhängigen Kontroll- und Beschwerdeinstanz geschaffen
wird. Diese ist mit den nötigen Kompetenzen und Mitteln
auszustatten, die einen wirksamen Schutz des Einzelnen vor
Übergriffen und Willkürmassnahmen der Staatsgewalt
garantieren kann.»
Kampagne gegen den autoritären Sicherheitsstaat
Soweit die Kritik. Bleibt die Frage, was in der gegenwärtigen
Lage getan werden soll. augenauf ist sich bewusst, dass die
Promotoren des autoritären Sicherheitsstaates zurzeit mit
grossem Rückenwind agieren. Eine Gegenkampagne von
links sollte sich deshalb nicht auf einen Abstimmungstermin
fixieren. Aus unserer Alltagsarbeit wissen wir, dass die Grenzen
polizeilichen Handelns von der Stärke und der Agilität
einer kritischen Gegenöffentlichkeit definiert werden. Die Debatte
über das neue Zürcher Polizeigesetz ist bisher geprägt
von einer bemerkenswerten Offenheit unserer Gegner. Diese
Chance sollten wir nutzen – mit einer Sensibilisierungskampagne,
die aufzeigen muss, dass man nicht wegschauen darf,
wenn die Polizei zuschlägt.
Infos, Entwurf und Vernehmlassungsantworten: www.
augenauf.ch. Kontakt zur Initiativgruppe für ein Komitee
gegen das Polizeigesetz: info@augenauf.ch.
augenauf Zürich
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zurück zum Archiv
URL dieser Seite