Bulletin Nr. 26; Oktober 1999

Die Antworten der Zürcher Behörden auf den Erstickungstod von Khaled Abuzarifeh sind an Kaltblütigkeit kaum zu überbieten.

Mörderische Praxis, kriminelle Energie

Am 3. März des Jahres stirbt Khaled Abuzarifa im Flughafen Kloten. Der auf die Deportation nach Kairo wartende Palästinenser erstickt in Begleitung mehrerer Polizisten auf dem Weg zum Flugzeug. Die Polizei hat ein Klebeband über seinen Mund geklebt, um den zahlenden Gästen des Flughafens die Schreie des Gefangenen zu ersparen. Der Tod Abuzarifehs ist der Polizei eine Pressemeldung wert, der palästinensische Flüchtling wird darin als Drogenhändler denunziert. Ein Bülacher Untersuchungsrichter - von der Autopartei für dieses Amt nominiert - schubladisiert das unumgängliche Verfahren. Der Skandal nimmt seinen Lauf.

Nach dem Tod Abuzarifehs gibt die Zürcher Polizeidirektorin Rita Fuhrer ihren Spezialisten den Auftrag, einen neuen Ausschaffungshelm zu entwickeln. Man will den Häftlingen den Mund stopfen, ohne dass das berüchtigte Klebeband zum Einsatz kommt. Bis der Helm da ist, steckt man den Gefangenen ein Röhrchen in den Mund, mit dem das Atmen durch das Pflaster erleichtert werden soll. Und die Zwangsausschaffungen gehen weiter.
Joao Lukombo Lombesi hat Erfahrungen mit dem Röhrchen gesammelt. Trotz der Atemhilfe geht ihm fast die Luft aus, als er am 9. Mai von Zürcher Kantonspolizisten nach Kinshasa deportiert wird. Er spricht von Todesangst, das Flugpersonal der Swissair-Maschine von bestialischen Polizeimethoden. So sehen das auch die Passagiere. Beim Zwischenhalt in Yaoundé befreien sie Lombesi. Im Flugzeug kommt es zum Tumult. Die Polizisten müssen aussteigen und den Gefangenen wieder nach Zürich zurücknehmen.
Die abgebrochene Ausschaffung erregt Aufsehen. Rita Fuhrer geht in die Offensive. Lombesi habe die Polizisten geschlagen, lässt ihre Pressestelle verlauten. Das Fahndungsbild des Opfers wird dem Blick zugespielt. Man bläst zur Jagd auf einen Schwarzen.
Ende Juni nimmt die Kantonspolizei den neuen Ausschaffungshelm in Dienst. Nun wird ein Kinnband verhindern, dass der Häftling den Kiefer bewegen kann. Mit einem weiteren Band dichtet man den Mund ab. Halterungen am Helm erlauben es den Beamten zudem, den Kopf des Ausschaffungshäftlings am Flugzeugsessel zu fixieren. Peter Neracher demonstriert in der Nachrichtensendung "10 vor 10" die Neuentwicklung. Bei Ausschaffungen dürfe man keine Gefühle zeigen, sagt der Chef der Flughafenpolizei in die Kamera. Eine Anleitung zum Mord?
So ist es. Denn bei Stress und körperlicher Anstrengung muss ein Häftling frei atmen können, um den erhöhten Sauerstoffbedarf zu decken. Ein Mundverschluss kann jederzeit zum Tode führen. Das wissen nicht nur die Ärzte, die in den USA die unmittelbar nach einer Verhaftung eintretenden Todesfälle untersuchen. Auch der deutsche Innenminister Otto Schily hat Kenntnis von den physikalischen Zusammenhängen. Nach dem Tod eines Gefangenen untersagt er den Grenzschutzbeamten kategorisch, in Zukunft bei Ausschaffungen "mundverschliessende Hilfsmittel" und "atmungsbehindernde Abpolsterungen" zu verwenden.
Spätestens seit Anfang August hat auch Rita Fuhrer Kenntnis von diesen Sachverhalten. Sie hat Post von amnesty international(ai) erhalten. Die Menschenrechtsorganisation ist beunruhigt über die Berichte aus der Schweiz. Sie fordert detaillierte Auskunft über die bei Zwangsausschaffungen geltenden Dienstanweisungen, Verhaltensregeln und Vorsichtsmassnahmen. Wenig später geht ein ähnliches Schreiben an den Bundesrat. ai will wissen, ob Bern von den Zürcher Methoden Kenntnis hat und ob es diese dulde.
Rita Fuhrer reagiert auf ihre Art. Am 18. August fliegt ein von der Zürcher Kantonspolizei gechartertes Flugzeug mit zwei Ausschaffungshäftlingen nach Beirut. Auch im Privatjet schnallt man die Häftlinge wie ein Paket auf dem Flugsessel fest. Und obwohl keine Passagiere mehr anwesend sind, die das Schreien der Häftlinge stören könnten, verschliesst man den Gefangenen mit dem neuen Ausschaffungshelm den Mund. Ibrahim M. hat erlebt, was das bedeutet. Auf dem Horrortrip nach Beirut habe er immer wieder um Luft ringen müssen. Der neue Helmverschluss behindere das Atmen durch den Mund so stark, dass man kaum noch zu Luft komme.
Doch das mörderische Ausschaffungsprogramm der Zürcher Kantonspolizei nimmt seinen Lauf. Um den 10. September fliegt wieder ein Privatjet mit einem Ausschaffungshäftling nach Beirut. Die Swissair hat zuvor einen Buchungsstopp gegen die Kantonspolizei Zürich erlassen. Für Zwangsausschaffungen hat die Schweizer Fluggesellschaft keine Plätze mehr frei. Das Ausschaffen im Jet wird zwar teurer. Dafür bleiben die Polizeileute unter sich.
Und so bleibt der durch die Polizei herbeigeführte Erstickungstod von Khaled Abuzarifeh so ungesühnt, wie die andauernde Gefährdung des Lebens der Ausschaffungshäftlinge. Mit krimineller Energie gehen Rita Fuhrer und ihre Chefbeamten ans Werk, wenn die heilige Schweizer Erde von unerwünschten Ausländern gesäubert werden muss. Sie können sich dabei auf eine Justiz verlassen, die ihr rassistisches Auge geschärft hat. Und sie können auf eine Öffentlichkeit zählen, bei der mit den Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht die Apartheid zum identitätsstiftenden Element zu werden droht.

Zurück zum Inhaltsverzeichnis

Zurück zum Archiv

URL dieser Seite