Gewalt & Drohung gegen Beamte
Statistisches zu Art. 285 StGB

Immer und überall wo BürgerInnen und Polizei aneinandergeraten, drohen seitens der Armada Anzeigen wegen «Diensterschwerung», «Nichtbefolgen einer behördlichen Anweisung» oder eben wegen «Gewalt und Drohung gegen Beamte.»
Waren es einst vorwiegend obrigkeits-ablehnende «Stieregringe», gegen welche ein diesbezügliches Verfahren eingeleitet wurde, sind es heute Demonstrierende, Fussball-Fans und viele andere. Insbesonders erlebten in den letzten Jahren Opfer von Polizeiübergriffen, dass sie selbst an an Stelle prügelnder Polizisten plötzlich auf der Anklagebank sassen,- wegen Gewalt und «Drohung gegen Beamte»

Der Ablauf ist simpel: X. lernt die Polizei von der ungemütlichsten Seite kennen, geht sofort zum Arzt, lässt Spuren der Misshandlungen attestieren und will dann Anzeige erstatten. Die schuldigen Beamten haben inzwischen vorgesorgt und ihrerseits eine Anzeige gegen X. gemacht. Vor Gericht stellt sich die Situation dann so dar, als dass das Opfer sich gegen eine harmlose Kontrolle heftigst mit Spucken, Kratzen, Beissen, Händen und Füssen gewehrt habe und nur mit Mühe habe überwältigt werden können (und vielleicht sogar noch «zum eigenen Schutz»). Daher auch die Verletzungen ... aber die habe X. sich selber zuzuschreiben!
Die Gegenanzeige wird somit gleich zum Entlastungsindiz.

Statistischer Niederschlag

Es ist nicht anzunehmen, dass «Gewalt und Drohung gegen Beamte» in den letzten paar Jahren enorm zugenommen haben,- auch wenn die Polizei dies immer wieder behauptet. Verändert hat sich primär das Anzeigeverhalten der Beamten. Und da es sich schliesslich um einen glaubwürdigen Berufsstand handelt, findet diese Praxis auch in den Gerichtsurteilen ihren Niederschlag.

Der enorme Anstieg der Verurteilungen aufgrund «strafbarer Handlungen gegen die öffentliche Gewalt» ab Mitte der 90er Jahre ist augenfällig (allesamt StGB-Artikel welche heutzutage typischerweise gegen Demonstrationsteilnehmende zur Anwendung kommen).

Allerdings muss hier angemerkt werden, dass die 90er Jahre bezüglich Demos und erst recht hinsichtlich von Ausschreitungen begleiteten Demos als sehr ruhiges Jahrzehnt betrachtet werden können,- vergleicht man die Situation mit den 80ern! Auch ist nicht anzunehmen, dass in dieser Zeit der Durschnittsbürger derart zum Beamtenhasser mutiert ist, wie man der Statistik entnehmen könnte. Im Gegenteil,- früher war der Ton eher rauher, wie sich selbst Polizeidirektor Schild erinnert: «Ich denke daran, wie früher in der Rheingasse "geklopft" wurde, wie bei Demonstrationen vorgegangen wurde. Vieles davon wäre heute nicht mehr möglich»
Was sich aber mit Sicherheit geändert hat, sind die Empfindlichkeiten. Unfeine Sprüche steckten die «Schugger» früher locker weg,- heute reagieren sie mit Anzeigen oder schlagen zu oder gleich beides.

Wie man es dreht, die Zunahme der Fälle gem. Art. 285 ist «hausgemacht». Es sind immer PolizistInnen, welche immer öfter diese Anzeigen machen, egal ob aus Kalkül oder aus tatsächlicher Betroffenheit.

Basler Verhältnisse

In Basel verhält es sich nicht anders als in der Restschweiz: die Zunahme der Ermittlungen betr. Art 285 folgt exakt dem nationalen Trend:

Anzumerken wäre allenfalls, dass Basel 8% zum gesamtschweizerischen Total beiträgt,- bei einem Bevölkerungsanteil von 2.6%.

Interessant wird es, wenn man sich die gesamte Basler Kriminalitätsstatistik vor Augen hält, speziell was die relative Veränderungen der Zu- oder Abnahme einzelner Straftatbestände betrifft. Demzufolge handelt es sich bei «Gewalt und Drohung gegen Beamte» um denjenigen Straftatbestand mit der höchsten Zuwachsrate!

Gegen wen wird wegen «Gewalt und Drohung» ermittelt?

Die offiziellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BfS) geben keine Auskunft über die Umstände, die zu Verfahren gem. Art. 285 StGB führen. Die Aufschlüsselung erfolgt nur nach wenigen demographischen Parametern:

Wie bei allen polizeilichen Anzeigestatistiken sagen die Zahlen wenig über die tatsächlichen Verhältnisse (in diesem Fall das Gewaltpotenzial in der Bevölkerung, verbunden mit der Wut auf Beamte) aus, sondern reflektieren erst einmal, wann und gegen wen die Polizei gerade ihre Arbeitsschwerpunkte setzt (wenn sie z.B. während eines Jahres schwerpunktmässig gegen Kiffer vorgeht, explodiert die diesbezügliche Statistik, ohne dass ein Joint mehr geraucht wird).
So auch hier. Deutlich wird dies beispielsweise an der aussergewöhnlich hohen Zahl wegen «Gewalt und Drohung» angezeigter Minderjähriger im Jahr 1992. Man wird wohl kaum aus dem Kurvenverlauf folgern, dass in diesem Jahr die SchülerInnen besonders bissig gewesen seien. Es reicht schon aus, wenn die Polizei anlässlich einer unerlaubten Schülerkundgebung ein Exempel statuieren will und die Teilnehmenden flächendeckend verzeigt;- egal ob sie wirklich Gewalt angewendet haben oder nicht.

Ein anderes Beispiel ist der Vergleich zwischen den Ermittlungen gegen Ausländer und Schweizer. Die Statistik sagt aus, dass Ausländer zunehmend mehr unter dem Verdacht stehen, gegen Art 285 StGB zu verstossen als Schweizer (3fach höhere Zuwachsrate in den letzten zwanzig Jahren / übermässig hoher Anteil am Total in der Relation zum Anteil an der Wohnbevölkerung). Solche Zahlen sind natürlich Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten, welche aufgrund dieser Datenbasis sogleich den Untergang des Abendlandes heraufbeschwören und allem Fremden den Stempel von Gewalt, losen Messern, Terror und Integrationsunwille aufdrücken.
Die Realität ist viel simpler. Nicht zuletzt dank der konsequenten Desinformationskampagnen der erwähnten Rechtpopulisten hat sich die Polizeiarbeit in den letzten Jahren zusehends auf diese Bevölkerungsgruppe fokussiert (Stichwort «Kügelidealer»). Unverhältnismässig viele Kontrollen in dieser Bevölkerungsgruppe sind die Folge. Diffuse Ängste vor dem Fremden, latenter Rassismus, von Hetzkampagnen hinterlassene Spuren und auch Verständigungsprobleme lassen solche Kontrollen zudem eher eskalieren, als wenn der Angehaltene in derselben Fasnachtsclique ist. Und wie vertuscht der kluge Polizist danach seine Nichtbeherrschung der Situation? Richtig ... indem er den ungeliebten Kontrahenden wegen «Gewalt und Drohung» verzeigt,- selbst wenn es sich nur um ein Kommunikationsproblem gehandelt hat (die Dokumentationen von augenauf sind voll mit solchen Fällen).

Im Normalfall ist es ja nicht so, dass sich ein Täter den Vorsatz fasst, gegen Art. 285 zu verstossen. Die Situation, dass erst die Tat und dann die Konfrontation mit der Polizei erfolgt (wie etwa bei Diebstahl, Raub usw.) ist hier nicht gegeben,- im Gegenteil: erst aus der Konfrontation mit der Polizei heraus kann sich dieser Tatbestand entwickeln. Sowohl eventuelle Tat als auch deren Anzeige entwickeln sich aus momentanen Situationen und Befindlichkeiten heraus. Der statistisch starke Anstieg bei «Gewalt und Drohung gegen Beamte» kann somit auch als Signal einer zunehmenden Entfremdung zwischen Polizei und Bürger interpretiert werden ...


Quellen: Bundesamt für Statistik / Statistisches Amt Basel-Stadt