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Quelle: «Unbequem» (Zeitung der BAG Kritischer Polizisten und Polizstinnen, März 1999)
Gefunden bei: http://www.comlink.de/cl-hh/r.borchers |
"Polizeirevier Baden-Baden –
Streifendienst – Tgb.Nr.: 306/96-D
ANZEIGEN-AUFNAHME
POL. EREIGNIS: Widerstand gegen
Vollstreckungsbeamte/Verdacht der
Trunkenheitsfahrt/Verdacht Btmg
u.a.
Tatzeit:
15.1.97, 22:00 - 22:25 Uhr
Tatort : 76532 Baden-Baden, Industriestraße/Bahnhof
Baden-Baden
Beschuldigt: Kalimu, Adams - Staatsangeh.: Ghana
Sachverhalt: Am 15.01.1997, gg. 22.00 Uhr,
befuhr die Streifenwagenbesatzung PHM H./POM B. die Industriestraße in
Baden-Baden. Vor ihr fuhr der PKW Mitsubishi, amtl. Kennzeichen ... in Richtung
Flugplatz/Haitzenacker. Da ein Defekt der Beleuchtungseinrichtung festgestellt
worden war, wurde der Fahrzeugführer am Bahnübergang einer Verkehrskontrolle
unterzogen. Hierbei wurde bei ihm Alkoholgeruch festgestellt, weshalb ihm gem.
Par. 81a StPO die Festnahme erklärt wurde. Da er der Aufforderung ins
Dienstfahrzeug einzusteigen nicht nachkam, ergriff ihn POM B. am Arm und
versuchte ihn mit einfacher körperlicher Gewalt ins Fahrzeug zu verbringen.
Plötzlich riß sich der Beschuldigte los und flüchtete links der Bahngleise in
Richtung Bahnhof. Nach kurzer Verfolgung durch PHM H. und POM B. konnte er
abermals gestellt werden. Der neuerlichen Festnahme entzog er sich abermals
dadurch, daß er auf die Beamten einschlug und eintrat sowie PHM H. in den
kleinen Finger der linken Hand biß.
Im Zuge der sofort eingeleiteten örtlichen
Fahndung mit insgesamt 4 FuStw ... konnte der Beschuldigte, gg. 22:25 Uhr, von
POM R. und PM E. am Bahnsteig eins des Bahnhofs Baden-Baden gesichtet werden.
Beim Erkennen der Beamten warf er sich zu Boden und schrie laut um sich.
Zusammen mit der zwischenzeitlich herbeigerufenen Streifenwagenbesatzung des
PRev Rastatt (POM D./PM G.) sollte er nun festgenommen werden, wobei er sich
abermals wehrte. Nachdem die Beamten den Beschuldigten mittels einfacher
körperlicher Gewalt überwältigt und ihm Handschließen angebracht hatten,
stellten sie fest, daß er plötzlich keinerlei Reaktionen mehr zeigte. Durch den
sofort verständigten Notarzt, Dr. L. und dem DRK wurde festgestellt, daß der
Beschuldigte einen Herz-/Kreislaufstillstand hatte. Nach Abschluß der
durchgeführten Reanimationsmaßnahmen wurde er in die Intensivstation der
Stadtklinik Baden-Baden verbracht. Es besteht weiterhin
Lebensgefahr.
Bei den
Widerstandshandlungen erlitt POM B. eine Brustbeinprellung, Dehnung des
Sprunggelenkes sowie eine Schienbeinprellung. Es trat eine Dienstunfähigkeit
ein. PHM H. erlitt eine Bißwunde an der linken Hand. Dienstunfähigkeit trat
nicht ein. Die weiterhin beteiligten Beamten wurden nicht
verletzt."
Im Krankenhaus wurde im Aufnahmebogen eine Rippenserienfraktur und
Thoraxdeformität vermerkt. Es entwickelte sich ein therapeutisch nicht
beherrschbares Hirnödem als typische Sauerstoffmangelschädigung und eine schwere
Bauchhöhlenentzündung aufgrund wohl vorbestehender geschwüriger
Darmschleimhautentzündung, die trotz operativer Hirndruckentlastung und
Eiterableitung aus der Bauchhöhle am 21.1.97 zum Tod führte, ohne daß Kalimu
vorher aus dem Koma erwachte.
Die SüddeutscheZeitung schildert am 25.1.97
den Vorgang mit der Klage der Witwe über die von den Polizisten versäumten
Wiederbelebungsversuche. Die SZ fährt fort: "Überhaupt konnte ein Gutachten des
Gerichtsmedizinischen Instituts keine Spuren äußerer Gewaltanwendung
feststellen." ... "Es besteht nicht der geringste Anlaß, von Fremdverschulden
auszugehen, meint die Baden-Badener Staatsanwältin Brigitte Marquart ..." Wie
kann es schließlich sein, daß offizielle Stellen tagelang unverdrossen von einem
"Asylbewerber aus Ghana" sprechen, wenn sie gar nicht wissen, ob Adams K.
Asylbewerber ist? Tatsächlich war er seit drei Jahren mit einer deutschen Frau
verheiratet und hatte eine befristete Arbeitserlaubnis von fünf Jahren," fragt
die SZ. Der engagierten Redakteurin C. Schirra gelingt es, drei ZeugInnen
ausfindig zu machen, die die Festnahme aus wenigen Metern Entfernung beobachtet
hatten, die also keiner der sechs Polizeibeamten registriert hatte.
Kurz vor
deren oberstaatsanwaltlicher Vernehmung beauftragt die Staatsanwaltschaft
Baden-Baden am 10.2.97 den Direktor des Instituts für Rechtsmedizin der
Universitätskliniken Heidelberg, Prof. Dr. Rainer Mattern, mit der Begutachtung.
Als Vorinformation wählt sie die Zeugenaussagen der zwei erstbeteiligten
Beamten, die Arztberichte ohne Aufnahmebogen und die Aussagen von fünf außerhalb
des Bahnhofs stehenden Taxifahrern. Weder reicht sie die in den folgenden Tagen
erhobenen Zeugenaussagen aus geringer Distanz nach, noch fordert Prof. Mattern
solche an, die ja naheliegenderweise in einem Kur- und Roulettstadtbahnhof um
22:00 Uhr vorhanden sein müßten.
Prof. Mattern kann also unbelastet von
polizeibelastenden Zeugenaussagen und vom Aufnahmebefund der Klinik einen
natürlichen Tod während einer harmlosen Festnahmesituation feststellen, so als
hätte Kalimu just bei der Festnahme der Herzstillstand wie ein Blitz getroffen.
Ähnlich wie bei dem 1994 während Knebelung an einem "plötzlichen Tod aus
natürlicher innerer Ursache" gestorbenen Nigerianer Kola Bankole fand sich auch
bei Kalimu eine trotz zeitnaher ärztlicher Untersuchung bisher unentdeckte
Herzmuskelentzündung, die zwanglos als ursächlich für den für sicher gehaltenen
Herzstillstand heranziehbar war:
"Der Unterbrechung der Sauerstoffversorgung
des Gehirns lag primär ein Herzstillstand zugrunde, der mindestens 5 Minuten
angehalten haben mußte." Bei der Obduktion findet er Blutungen im
Kehlkopfbereich, verrät aber nicht, ob sie nur innerhalb im Schleimhautbereich
gefunden wurden und damit durch die notärztliche Intubation hervorgerufen sein
konnte, oder auch außerhalb in der Umgebungsmuskulatur, was die ihm
vorenthaltene Zeugenaussage mit der Unterarmeindrückung bestätigen würde.
Bezüglich der Rippenserienfraktur findet sich nicht der geringste Hinweis auf
eine Untersuchung der Brustwand auf solche Verletzungsfolgen, die ebenfalls eine
Erstickung nahelegen würde, die erst sekundär zum Herzstillstand führen würde.
Warum nur ist die Unterscheidung zwischen primärem und sekundärem
Herzstillstand so wichtig? Für den primären Herzstillstand können keine
Polizisten verantwortlich gemacht werden – sie können ja außer mit einem Schuß
das Herz nicht einfach ausknipsen. Für eine Erstickung könnten sie dagegen wohl
verantwortlich gemacht werden. Das könnte eine Anklage nach sich ziehen, wenn
über die lagebedingte Erstickung hinaus Polizisten mit einem Schlag, Tritten,
Armverrenkungen und vor allem mit brustkorbbrechenden minutenlangen Gewichtsein-
wirkungen und 30-60 Sekunden langer Halseinzwängung agiert haben wie gegenüber
Kalimu. Erst recht natürlich, wenn sie wie 1993 und 1994 im Flughafen Frankfurt
Ausländern den Mund direkt verstopft haben.
Damit bin ich bei den von der
Staatsanwaltschaft vorenthaltenen und ab zwei Tagen nach Matterns Beauftragung
erhobenen neutralen Zeugenaussagen: Die Bahnbedienstete W. konnte von ihrem
Standort wenige Meter entfernt beobachten, wie ein Beamter Kalimu in Seitenlage
mehrmals leicht gegen den Rücken trat und ein anderer ihm 30 bis 60 Sekunden
lang "seinen Unterarm gegen den Kehlkopf oder die Halsschlagader drückte."...
sodaß "dieser mehrmals stöhnte, oder eigentlich mehr röchelte."
Herr A.
berichtete dem leitenden OStA Fluck: ... "Etwa 3 Meter rechts von mir lag ein
Farbiger auf dem Bauch ... Einige Sekunden später legte sich der Farbige auf den
Rücken. Er rief: "mach mi' tot". Er bewegte dabei die Arme, er wedelte damit, er
war richtiggehend hysterisch. Er schien mir nervlich total fertig zu sein." Nach
etwa 10 Minuten seien vier weitere zu den zwei Polizeibeamten dazugekommen.
"Zwei waren an den Beinen, einer war mit dem Knie auf dem Rücken, vorne waren
auch noch zwei. Sie waren in einer Traube auf ihm drauf, sodaß man Herrn Kalimu
kaum noch gesehen hat. Ich hörte dann einen lautstarken Schmerzensschrei von
Herrn Kalimu, der ziemlich lang war, ich schätze mindestens sechs Sekunden oder
sogar mehr. Es war eine furchtbarer Schrei an einem Stück. Mir ging das durch
Mark und Bein. Dann bin ich näher hingegangen und habe gesehen, daß sie mit den
Handschellen an ihm rumgemacht haben ....Dann war es auf einmal ruhig, dann war
nichts mehr ..." Der Zeuge W. berichtete: "... Sie versuchten, Handschellen
anzulegen. Dagegen hat er sich ein bißchen gewehrt. Der eine Polizist, der am
Kopfende bei ihm stand, hat den Knüppel gezogen und schlug damit auf Herrn
Kalimu ein zwischen Schulter und Kopf. Wo er getroffen wurde, habe ich nicht
gesehen. Dann stürzten sich vier oder fünf Polizisten auf ihn und zerrten ihn in
Richtung Informationshäuschen auf dem Bahnsteig eins. Dann lagen vier oder fünf
Polizisten auf ihm, einer davon kniete auf seinen Beinen. Die anderen lagen auf
ihm. Ich konnte den Kopf von Herrn Kalimu nicht mehr sehen. Ich sah, daß
Plastikschließen an den Beinen angebracht wurden. Herr Kalimu schie erbärmlich;
zu diesem Zeitpunkt lag er auf dem Bauch. Ich sah die Finger des rechten Arms
auf dem Rücken von Herrn Kalimu. Ich rief den Polizisten zu: "Das ist
lächerlich, was hier abgeht". Die Polizisten antworteten darauf nicht. Sie lagen
etwa sechs bis acht Minuten auf ihm. Ich sah noch, daß die Polizisten standen
und daß der Notarztwagen kam. Dann ging ich zum Zug."
Wie gesagt, wurden
diese Zeugenaussagen Prof. Mattern von der Staatsanwaltschaft nicht
nachgereicht. So konnte er fünf Wochen nach deren Vernehmungen gutachten:
(G31/97 S.25) "Wie die Zeugen übereinstimmend angaben, konnte keiner von ihnen
eine von den Polizeibeamten durchgeführte Gewalteinwirkung gegen den Oberkörper
und den Hals des Herrn Kalimu beobachten. Die Zeugen gaben an, daß die
Polizeibeamten sich mit den Armen und Beinen beschäftigt hätten, um Herrn Kalimu
zu schließen. Dies entspricht auch dem Ergebnis der Obduktion, wonach keine
weiteren Zeichen einer äußeren Gewalteinwirkung festgestellt werden konnten, die
auf ein Beknien des Oberkörpers hinweisen würden ... Die Annahme, daß eine
äußere Gewalteinwirkung mit einer Beeinträchtigung der Atemtätigkeit oder
Lungenfunktion ursächlich für den Herzstillstand war, findet daher keine
Bestätigung ... Bei einer Herzmuskelentzündung (sic) sind plötzliche
Herzstillstände als Folge einer Verminderung der Erregungsüberleitung oder auch
Herzrhythmusstörungen nicht selten. Der Herzstillstand des Herrn Kalimu ist
daher am ehesten auf die Herzmuskelentzündung zurückzuführen ...."
Das
Ermittlungsverfahren konnte somit im September 97 eingestellt werden.
Stellen wir uns vor, der echte Quincy hätte den Fall Kalimu übernommen. Bei
Prof. Matterns Informationsstand hätte er aufgrund seiner Kenntnis der
einschlägigen Fachliteratur gerade auch des 'American Journal of Forensic
Medicin and Pathology’ ernsthaft einen 'Sudden in Custody Death' durch
,Positional Asphyxication' erwogen, also eine lagebedingte Erstickung ohne
zusätzliche polizeiliche Atembehinderung. Selbstverständlich hätte sich Quincy
nicht mit dieser vorläufigen Einschätzung zufriedengegeben und auch die
Rippenserienfraktur nicht übersehen. Spätestens nach den Presse- und
Funkveröffentlichungen über die weiteren Zeugenaussagen wäre er bereits Anfang
Februar bei der Staatsanwaltschaft vorstellig geworden und hätte nachgebohrt. Er
hätte natürlich herausgefunden, ob die Kehlkopfblutungen durch Notarzttubus von
innen oder Polizistenarm von außen kamen. Nicht zuletzt hätte er auch geklärt,
ob die Beleuchtung des PKWs Kalimus wirklich defekt war und weshalb ihn die
Polizisten nicht einfach blasen ließen. Dann hätten sie gleich feststellen
können, daß er weniger als 0,5 ‰ Alkohol im Blut hatte und hätten vielleicht auf
die ergebnislose Drogensuche verzichtet.
Inzwischen scheint das Wissen um
die lagebedingten Erstickungsursachen bei Festnahmen auch nach Heidelberg
vorgedrungen zu sein, obwohl das Stuttgarter Innenministerium eine
Fragebogenstudie der Polizeihochschule Villingen-Schwenningen an
Polizeidienststellen "zu dem heiklen Thema" (SPIEGEL 8.2.99) blockiert hatte;
"Vor allem hocherregte Delinquenten, zudem psychotisch, zu dick, betrunken oder
mit Drogen vollgepumpt, drohen an Atemnot zu sterben,wenn sie nach einem
heftigen Kampf von Polizisten in Bauch- oder Rückenlage festgehalten werden.
Gefürchtet ist vor allem der Todeskreislauf: Je größer die Atemnot und deshalb
der Widerstand des Delinquenten, desto stärker hält der Polizist dagegen, weil
er glaubt, der Mann gebe immer noch nicht auf. Damit Beamte solche
Situatuationen richtig einschätzen können, fordern Rechtsmediziner wie der
Heidelberger Professor Ingo Pedal und Polizeidozent Mallach eine bessere
Ausbildung. Das Wissen, daß hocherregte Geistesgestörte, Junkies oder Betrunkene
besonders anfällig für einen schnellen Tod sind, sei von Polizisten nicht zu
erwarten, 'solange es in der Ausbildung nicht vermittelt wird’, klagt Pedal."
Gerade bei Kalimu gab es ja dringende Hinweise auf psychotische Erregtheit
(merkwürdige Schreie im Wald nach dem zweiten Losreißen, inadäquates Verhalten
bei der dritten Festnahme wie Auf-den-Bauch-Legen und ,Mach mich tot' Rufen) und
Alkoholisiertheit sowie der Drogenverdacht, der keine rechtsmedizinische
Bestätigung fand, während die Blutalkoholkonzentration unter 0,5 Promille
gefunden wurde.
DER SPIEGEL fährt fort: "Polizeitrainer Mallach fehlt das
Rollenspiel unter Streß und im richtigen Zusammenhang: 'Was nützt es, wenn die
Wiederbeatmung beim Rettungsschwimmen erklärt wird und nicht beim
Festnahmetraining?" Der SPIEGEL weiter: "Im Mai 1998 starb in Frankfurt am Main
ein 17jähriger Nigerianer – zwei Wochen, nachdem er bei einer Festnahme mit
Herzstillstand zusammengebrochen war. Für die Staatsanwaltschaft 'ein tragischer
Fall ohne Schuld der Polizei.’
Darüber werde ich in der nächsten Ausgabe
berichten, wenn Redaktion und Leser wollen. (Die Redaktion hat ein starkes
Interesse.)
Ergänzend sei noch auf Prof. Ingo Pedals Zusammenfassung
Heidelberger Gewahrsamstodesfälle im 'Archiv für Kriminologie Jan/Feb.99’
verwiesen, das ich aus Platz- und Zeitmangel nicht verwerten konnte.
Claus Metz ist Mitglied des
IPPNW
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