Bulletin Nr. 41; März 2004

Vor fünf Jahren starb Khaled Abuzarifa auf dem Flughafen Kloten

Fahrlässige Auftragstötung

Das Bundesgericht hat in letzter Instanz entschieden. Khaled Abuzarifa wurde auf dem Weg zur Ausschaffung getötet. Der Arzt handelte im Auftrag des Kantons Bern, als er dem Gefangenen den Mund zukleben liess.
Am 3. März jährte sich die Tötung von Khaled Abuzarifa zum fünften Mal. Auf dem Flughafen Kloten, wo der damals 27-jährige Palästinenser erstickt wurde, steht immer noch kein Schandmal. Bevor den Ausschaffungstechnikern im Jahre 1999 der erste Mensch «unter der Hand weggestorben» ist, hatten die verschiedenen Polizeikorps der Schweiz besonders renitent geltenden «Deportees» bereits während eineinhalb Jahren den Mund mit einem dicken Scotch zugeklebt. Am Liftschacht, in dem Khaled das Bewusstsein verlor, fahren täglich tausende von ahnungslosen Passagieren vorbei. Der Lift wird auch heute noch benützt - für die gleichen Zwecke. Im dritten Stock des Bürogebäudes beim Eingang zum Terminal A hat «Repat» seine Zelte aufgeschlagen, SwissRepat: das ist der interkantonal organisierte Deportationsservice. Und in den Eingängen zu den Fingerdocks stehen immer noch die berüchtigten Rollstühle bereit, mit denen man die in Zwangsjacken verpackten Menschen wie Stückgut in die Flugzeuge schiebt. Nur etwas hat sich geändert. Geklebt wird nicht mehr, wenn Schweizer Polizisten die Ausschaffungen vollziehen. Man hat andere Hilfsmittel konstruiert, andere Prozeduren entwickelt. Wegsterben sollen sie nicht mehr, die abgewiesenen Flüchtlinge, die «Inadmissibles». Zumindest nicht in der Schweiz. Das hat die antirassistische Bewegung erreicht. In einem harten Kampf. Der mit der letztinstanzlichen Bestätigung eines Urteils des Bezirksgerichts Bülach einen ersten Abschluss gefunden hat. Die Lausanner Richter haben festgehalten, dass der begleitende Arzt, der wider besseres Wissen die Knebelung des bereits mit der Atmung kämpfenden Khaled für unbedenklich erklärt hat, sich auch nach den strengen Regeln des schweizerischen Strafrechts der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht hat.
 
Die Spur führt in den Gazastreifen
Rekapitulieren wir nochmals, wie es zu diesem bemerkenswerten Entscheid gekommen ist. Nach der Autopsie haben die Berner Behörden den Leichnam von Khaled «nach Hause» geschafft. Am Grenzposten zu Erez wurde der in ein Tuch gehüllte Körper der im Gazastreifen lebenden Familie ausgehändigt. Man vermied tunlichst, mit den Angehörigen in Kontakt zu treten. Und man gab in der Schweiz mit keinem Wort bekannt, wo die Angehörigen des Opfers zu finden sein könnten. Sieben Monate dauerte es, bis einem in Erklärungsnotstand geratenen Polizeisprecher die Information rausrutschte, dass der Leichnam nach Erez gebracht worden sei. Weitere zwei Monate später hatte augenauf den Kontakt zur Familie hergestellt. Es folgte ein langes Untersuchungsverfahren. Im Juni des Jahres 2001 standen vier Angeklagte in Bülach vor Gericht. Drei Polizisten und ein Arzt. Ein mutiger Richter hat den Arzt schuldig gesprochen und zur Zahlung von Schadenersatz verpflichtet. Er ging davon aus, dass der von der Kantonspolizei Bern für eine andere Ausschaffung engagierte Medikus im Ruhestand im Falle von Khaled in eigener Regie gehandelt hat. Zwei Polizisten der Berner Antiterroreinheit, die mit Khaled nach Kairo fliegen sollten, wurden freigesprochen, weil sie auf Befehl gehandelt haben. Die Anklage gegen den Chef des Dreierteams hat der Richter an den Bezirksanwalt zurückgegeben. Vor einem Schuldspruch sollte nochmals abgeklärt werden, ob auch er auf Weisung seiner Vorgesetzten gehandelt habe.
 
Der Kanton Bern muss zahlen
Zu einem zweiten Prozess kam es nicht mehr. Der Polizist ist vor der Wiedereröffnung des Verfahrens gestorben. Die Führungskader der Kantonspolizei Bern, in deren Auftrag der Polizeitrupp gehandelt hat, haben bis heute nicht erklären müssen, ob es eine Anweisung zum Knebeln gegeben hat - oder ob die Polizisten in eigener Verantwortung zu jenem Klebeband griffen, das die Zürcher Polizei in der Abstandszelle in Kloten bereitgelegt hatte. Der Arzt zog das gegen ihn gesprochene Urteil durch alle Instanzen weiter. Bis zum letztinstanzlichen Entscheid, der eine Überraschung brachte. Im Gegensatz zu allen Vorinstanzen sind die Bundesrichter nämlich zum Schluss gelangt, dass der Mann am 3. März 1999 im Auftrag des Kantons Bern gehandelt habe. Weshalb nicht er als Zivilperson, sondern der Kanton Bern für den angerichteten Schaden hafte. Es war also fahrlässige Tötung im Auftragsverhältnis. Der Kanton Bern hat Khaled Abuzarifa töten lassen. Für die Familie ist das eine gute Nachricht. Denn der Arzt, der längst nicht mehr praktiziert, der ohne Versicherung und ohne finanzielle Mittel dasteht, hätte die Entschädigungszahlungen nie leisten können. Das Bundesgericht hat gesagt, dass der Kanton Bern zahlen muss. Doch das wird nicht geschehen. Bis heute hat sich niemand bei der Familie oder ihrem Anwalt gemeldet. Deshalb wird jetzt geklagt werden müssen. Und noch etwas bleibt festzuhalten. Die Schweizer Ausschaffer «kleben» heute nicht mehr. Doch das heisst nicht, dass in der Schweiz nicht mehr geklebt wird. Vor zwei Monaten haben südafrikanische Sicherheitstrupps eine um Asyl nachsuchende Äthiopierin in Kloten abgeholt und mit Klebeband ruhig gestellt. Und im Juni 2003 haben Glarner Antiterrorspezialisten bei einer Razzia in einem Durchgangszentrum in Ennenda die Asylsuchenden mit Scotch ruhig gestellt. Das sei gängige Praxis, sagte der Einsatzleiter später dem Untersuchungsrichter. Dass ein «Kleber» gefährlich sein könnte, habe man sich nicht vorstellen können. augenauf will demnächst allen Schweizer Polizeikorps einen Brief schreiben. Wenn Beamte noch einmal einem Menschen den Mund zukleben würden, hätten sie mit einer Klage wegen Gefährdung des Lebens zu rechnen ... augenauf Zürich

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