Zu einem zweiten Prozess kam es nicht mehr. Der Polizist ist vor der Wiedereröffnung des Verfahrens gestorben. Die Führungskader der Kantonspolizei Bern, in deren Auftrag der Polizeitrupp gehandelt hat, haben bis heute nicht erklären müssen, ob es eine Anweisung zum Knebeln gegeben hat - oder ob die Polizisten in eigener Verantwortung zu jenem Klebeband griffen, das die Zürcher Polizei in der Abstandszelle in Kloten bereitgelegt hatte.
Der Arzt zog das gegen ihn gesprochene Urteil durch alle Instanzen weiter. Bis zum letztinstanzlichen Entscheid, der eine Überraschung brachte. Im Gegensatz zu allen Vorinstanzen sind die Bundesrichter nämlich zum Schluss gelangt, dass der Mann am 3. März 1999 im Auftrag des Kantons Bern gehandelt habe. Weshalb nicht er als Zivilperson, sondern der Kanton Bern für den angerichteten Schaden hafte. Es war also fahrlässige Tötung im Auftragsverhältnis. Der Kanton Bern hat Khaled Abuzarifa töten lassen.
Für die Familie ist das eine gute Nachricht. Denn der Arzt, der längst nicht mehr praktiziert, der ohne Versicherung und ohne finanzielle Mittel dasteht, hätte die Entschädigungszahlungen nie leisten können. Das Bundesgericht hat gesagt, dass der Kanton Bern zahlen muss. Doch das wird nicht geschehen. Bis heute hat sich niemand bei der Familie oder ihrem Anwalt gemeldet. Deshalb wird jetzt geklagt werden müssen.
Und noch etwas bleibt festzuhalten. Die Schweizer Ausschaffer «kleben» heute nicht mehr. Doch das heisst nicht, dass in der Schweiz nicht mehr geklebt wird. Vor zwei Monaten haben südafrikanische Sicherheitstrupps eine um Asyl nachsuchende Äthiopierin in Kloten abgeholt und mit Klebeband ruhig gestellt. Und im Juni 2003 haben Glarner Antiterrorspezialisten bei einer Razzia in einem Durchgangszentrum in Ennenda die Asylsuchenden mit Scotch ruhig gestellt. Das sei gängige Praxis, sagte der Einsatzleiter später dem Untersuchungsrichter. Dass ein «Kleber» gefährlich sein könnte, habe man sich nicht vorstellen können.
augenauf will demnächst allen Schweizer Polizeikorps einen Brief schreiben. Wenn Beamte noch einmal einem Menschen den Mund zukleben würden, hätten sie mit einer Klage wegen Gefährdung des Lebens zu rechnen ...
augenauf Zürich
Zurück zum Inhaltsverzeichnis
Zurück zum Archiv
URL dieser Seite