Wir, das heisst Betroffene und Unterstützende, wollen gemeinsam
einen zentral gelegenen Ort schaffen, wo Migrantinnen
und Migranten mit prekärem Aufenthaltsstatus selbstbestimmt
schlafen, essen, duschen, sprich: leben können. Die
Bewohnerinnen und Bewohner dieses Hauses sollen sich
beschäftigen und austauschen können. Sie sollen sich frei
bewegen können, ein- und ausgehen, wann sie Lust haben,
keinen Schikanen ausgesetzt sein und auch nicht überwacht
werden.
ständlich soll ein solcher Ort den Betroffenen
auch die Möglichkeit bieten, ihre Situation sichtbar zu machen
und der Forderung nach einer menschenwürdigen Migrationspolitik
Öffentlichkeit zu verschaffen. Wir wollen das
wahre Gesicht der menschenunwürdigen und rassistischen
AusländerInnen- und Asylpolitik zeigen und deren Opfern eine
Stimme geben.
Raum gesucht
Um diese Anliegen umsetzen zu können, brauchen wir einen
Raum, in dem dieses Projekt entstehen und gedeihen kann.
Wir haben Kontakte zu Kirchen, Gewerkschaften und kulturellen Institutionen aufgenommen.
Trotzdem haben wir bis
jetzt noch keinen Ort gefunden. Wir rufen die Öffentlichkeit
auf, uns zu unterstützen und mögliche freie Räume dem
Projekt ¡Wir bleiben! zur Verfügung zu stellen.
Es kann sein, dass wir keinen Raum finden. Zudem besteht
die Möglichkeit, dass es den Betroffenen zu riskant erscheint,
sich an einem solchen öffentlichen Ort aufzuhalten. Diese
Angst ist leider begründet, wie das Beispiel des Mittagstischs
für Menschen mit Nichteintretensentscheid in der Marienkirche
zeigte. Im Umfeld davon fanden immer wieder Polizeikontrollen
statt.
Für diesen Fall werden wir diskutieren, ob wir solidarische
Privatpersonen aufrufen werden, einzelne Menschen mit
prekärem Aufenthaltsstatus bei sich unterzubringen.
Wir fordern:
- Eine Alternative zu den bestehenden Minimal- und Durchgangszentren
zu schaffen: Wir brauchen ein Haus, in dem
nicht nur ein Dach und Essen bereit stehen, sondern wo
selbstbestimmt gelebt, ausgeruht, gespielt, diskutiert und
soziale Kontakte geknüpft werden können.
- Grundrechte gelten für alle und dürfen nicht mit sozialer
Kontrolle und Repression gekoppelt werden.
- Alle Menschen haben Anspruch auf eine menschenwürdige
Existenz.
augenauf Bern
Kontakt: Projekt ¡Wir bleiben! c/o augenauf Bern
augenaufbern@bluewin.ch
K., Algerier, auf der Stafelalp: «Sie sagen uns jeden Tag, dass wir zu viel kosten»
«Am Morgen geht das Bewachungspersonal auf der Stafelalp
durch alle Zimmer, um zu kontrollieren, wer in den welchen Zimmern
ist, und schreibt alle Namen auf. Wir müssen spätestens zwischen
9 Uhr und 9.30 Uhr aufstehen. Danach werden die Aufgaben
verteilt, alle müssen etwas putzen. Falls du einmal nicht
putzen kannst, wird dir ein Teil des Geldes, das du täglich bekommst,
gestrichen. Der Kiosk, wo wir mit Bons à Fr. 8.– pro Tag
einkaufen können, ist nur von 11 Uhr bis 12.30 Uhr geöffnet, am
Nachmittag bleibt er geschlossen. Wir haben kein Bargeld, sondern
einfach dieses Guthaben von 8 Franken pro Tag. Einem Bewohner,
der sich auf dem Weg zur Stafelalp in den falschen Zug
gesetzt hatte und deshalb eine Busse bekam, wurde die Busse
bezahlt, sein täglicher Geldbetrag wurde nun aber um 5 Franken
gekürzt, bis die Busse abbezahlt ist. Im Kiosk gibt es immer die
gleichen Produkte, zum Teil sind es Abfallprodukte von Migros und
Coop. Es gibt auch kein frisches Brot, nur tiefgefrorenes.
K., Algerier, auf der Stafelalp: «Sie sagen uns jeden Tag, dass wir zu viel kosten»
Man hat nicht das Recht, ein Gebiet von zwei Kilometern rund um
das Minimalzentrum ohne Genehmigung zu verlassen. Wirst du
ausserhalb dieses Rayons kontrolliert, bekommst du eine Busse
von Fr. 150.–. Bleibst du über Nacht weg, wirst du aus dem Zentrum
ausgeschlossen. Es liegt dann im Ermessen der Zentrumsleitung,
wann du zurückkehren kannst. Der letzte Bus von Seftigen
auf die Stafelalp fährt um 17.30 Uhr. Wer ihn verpasst, muss zwei
Stunden zu Fuss gehen.
Die Angestellten der ORS, die das Zentrum leitet, sagen uns
jeden Tag, dass wir die Schweiz verlassen sollen, dass wir zu viel
kosten etc. Alle zwei Wochen müssen wir zu einem Gespräch mit
dem Migrationsdienst zur Vorbereitung der Ausreise.
Es gibt im Minimalzentrum kein medizinisches Personal. Wird
jemand krank, wird immer Dafalgan gegeben. Viele Menschen auf
der Stafelalp haben psychische Probleme. Der Druck ist gross, es
gibt auch keine Beschäftigung.» (frz. Originaltext)
W. A. aus Somalia: «Ich habe das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein»
«Ich heisse W. A., bin 29 Jahre alt und lebe seit fünf Jahren in der
Schweiz. In meinem Herkunftsland Somalia herrscht seit 1991
Bürgerkrieg. Deshalb kam ich in die Schweiz und wollte mir hier
eine neue Lebensgrundlage aufbauen.
Im Jahr 2000 reichte ich ein Asylgesuch ein. Der defi nitive
Negativentscheid kam erst 2004. Ich zog in eine Sozialwohnung in
Schwarzenburg BE, begann Deutsch zu lernen, machte eine Weiterbildung
und fand auch Arbeit. Ich integrierte mich in diesem
Land, fand Freunde, baute mir ein neues Leben auf. Als 2004 der
Negativentscheid kam, forderte mich der Schweizer Staat auf, das
Land zu verlassen. Da es aber nicht möglich ist, in mein Heimatland
zurückzukehren und die Schweiz wegen des andauernden
Bürgerkriegs niemanden nach Somalia ausschaffen kann, konnte
ich Arbeit und Wohnung behalten.
Nach der Inkraftsetzung des neuen Asylgesetzes (April 2004)
erhielt ich einen Brief vom Amt für Berner Wirtschaft, dass ich im
Rahmen des Entlastungsprogramms 03 (erschwerter Zugang für
Personen mit Ausweis N/F zum Arbeitsmarkt) meine Arbeit nicht
weiterführen dürfe. Die Gemeinde Schwarzenburg stoppte die
Fürsorgebeiträge mit der Begründung, ich sei nicht kooperativ. Mit
einem Fürsorgestopp werden laut Gesetz Personen mit NEE, nicht
aber abgewiesene Asylsuchende – wie ich es bin – bestraft. Auf die
schriftliche Anfrage nach einer offiziellen Begründung für diesen
Entscheid bekam ich bis heute keine Antwort. Für mich bedeutete
W. A. aus Somalia: «Ich habe das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein»
dieser Fürsorgestopp aber, dass ich meine Wohnung verlassen
musste und aufgefordert wurde, ins Durchgangszentrum in
Aarwangen BE zu ziehen.
Nun lebe ich in Aarwangen, bekomme täglich sechs Franken
Lebensmittelgeld in Form eines Bons. Ich kann nicht mehr meinen
gewohnten Aktivitäten nachgehen und Deutschkurse liegen
aus finanziellen Gründen nicht mehr drin. Das Schlimme aber ist,
dass ich aus meinem sozialen Umfeld herausgerissen wurde,
ich habe nicht einmal genug Geld, um ein Zugticket nach
Schwarzenburg zu bezahlen. Dabei ist das Leben, das ich mir hier
in diesen fünf Jahren aufgebaut habe, das Einzige, was ich habe.
Es gibt keine Alternative dazu, denn ich kann nicht nach Somalia
zurück.
Mit der Verschärfung des Asylgesetzes zerstört der Staat
unzählige Leben von in der Schweiz lebenden Ausländerinnen und
Ausländern, so wie er mein Leben zerstört. Hinzu kommt, dass
man als junger Schwarzafrikaner automatisch Opfer der rassistischen
Schweizer Asylpolitik und ihrer kollektiven Vorurteile wird.
Dabei möchte ich einfach mein Leben weiterführen können wie
bisher, meiner Arbeit nachgehen und meine Freunde treffen. Ich
will ein menschenwürdiges Dasein fristen können wie alle
anderen in der Schweiz. Ich habe doch auch das Recht auf ein
menschenwürdiges Dasein!»
(frz. Originaltext)
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