Bulletin Nr. 25; Juli 1999
Deportation ohne Papiere: Wie Michael Collins nach Sierra Leone
abgeschoben wurde
Das BFF, die Schweizer Botschaften in Accra und Abidjan und die
Zürcher Fremdenpolizei lassen Ausschaffungsgefangene von Menschenhändlern
in westafrikanische Krisengebiete deportieren.
Accra und Abidjan sind die neuen Zauberworte der Schweizer
Ausschaffungsbürokraten. Seit mindestens neun Monaten werden afrikanische
Ausschaffungshäftlinge, deren Abschiebung aus der Schweiz an fehlenden
Reisepapieren (laisser-passer) scheitert, von Schweizer Polizeibeamten in
die Hauptstädte von Ghana und der Elfenbeinküste deportiert. Dort erledigen
von den Schweizer Botschaften in Abidjan und Accra bezahlte «Anwälte» für
die Schweiz das Drecksgeschäft von Menschenhändlern. Mit dem Einsatz von
Schmiergeld bei den lokalen Behörden sowie psychischer und physischer
Gewalt gegen die Ausschaffungsgefangenen lassen diese «Vertrauensleute»
nichts unversucht, ihre Opfer in wahre oder vermeintliche Herkunftsländer
zu spedieren. Für die Opfer dieser «Deportationen ohne Papiere» gibt es
nicht die geringsten Sicherheitsgarantien. Es ist anzunehmen, dass die
Schweizer Behörden nicht einmal mit Sicherheit wissen, in welchen Ländern
die ehemaligen Ausschaffungsgefangenen landen.
«Via Accra nach Afrika»
Besorgte Polizeibeamte haben anfang Juni in einem anonymen Schreiben an
“augenauf” und die Berner Zeitung auf die neue Ausschaffungsmethode
hingewiesen (s. S. 10). “augenauf” ist in den vergangen Monaten in rund
einem Dutzend Fällen auf die «Westafrika-Route» gestossen. Eine Vielzahl
von Dokumenten belegt, dass die im anonymen Schreiben gemachten Aussagen
der Wahrheit entsprechen Auszüge aus diesen Dokumenten zeigen, wovon wir
sprechen.
Vom 8. Juli 1998 datiert ein Telefax des BFF, das von der Ausschaffung
eines «Westafrikaners» «unbekannter Herkunft»” «via Accra»” spricht. Am 14.
Dezember 1998 schreibt die Zürcher Fremdenpolizei an die Kantonspolizei,
dass ein Afrikaner zu verhaften sei, nachdem das BFF «einer Rückführung des
Betroffenen nach Afrika via Accra zugestimmt» habe. Am 18. Januar 1999 ist
in einer Aktennotiz der Zürcher Frepo einschränkend die Rede davon, dass
eine «Rückschaffung via Accra» nur noch möglich wäre, wenn ausgeschlossen
werden könne, «dass der Betroffene aus Gambia oder Sierra Leone stammt». Am
29. Januar 1999 ersucht das BFF den Schweizer Botschafter in Accra «um
Rückführung nach Accra mit Identifizierung vor Ort durch Ihren
Vertrauensanwalt». Am 4. Februar 1999 gibt der Botschafter «feu vert» zur
Deportation nach Accra, falls es sich bei den Betroffenen nicht um Bürger
Sierra Leones oder des Sudans handle. Diese Zitate zeigen, dass das BFF
Menschen ohne Rücksicht auf ihre Herkunft und ohne auch nur den
Ansatz eines glaubhaften Identitätsnachweises in den Händen zu haben, auf
die Reise schickt.
Koloniale Methoden
Die Ausschaffungsgefangenen werden mit sogenannten «EJPD-Reisedokumenten»
ausgeschafft. Dank diesem Trick müssen die staatlichen Autoritäten Ghanas
und der Elfenbeinküste nicht offiziell kontaktiert werden. “augenauf” hat
deshalb in einem Fall den ghanesischen Konsul in Bern über das Prozedere
informiert. Am 12. Mai 1999 hat Herr Mensah uns mitgeteilt, dass die
ghanesischen Behörden mit den Auschaffungen ohne “laisser-passer” nicht
einverstanden seien. Gemäss den “augenauf” vorliegenden Unterlagen hat das
BFF seit März 1999 erhebliche Schwierigkeiten mit der Accra-Route. Ob die
ghanesischen Behörden den mit kolonialer Arroganz die staatlichen
Autoritäten Ghanas missachtenden Schweizern das Handwerk gelegt haben, ist
uns nicht bekannt. Bekannt ist hingegen, dass die Zürcher Fremdenpolizei
seit April 1999 jeden offenen Hinweis auf die «Westafrika-Routen»
vermeidet. In einer Aktennotiz vom 11. Mai 1999 schreibt die Zürcher
Fremdenpolizei im Fall des am 7. Juni nach Abidjan deportierten Michael
Collins,
dass «aufgrund der bisherhigen Erfahrungen und gescheiterten Auschaffungen
(...) Einzelheiten zwecks Sicherstellung der Durchführbarkeit des
beabsichtigten Vollzugs unerwähnt» bleiben.
Geknebelt nach Abidjan
Die Zürcher Kantonspolizei behauptet, dass Ausschaffungen nur dann mit
Gewalt vollzogen würden, wenn sich die Gefangenen bereits einmal einer
«normalen» Ausschaffung entzogen hätten. Gemäss den uns vorliegenden
Informationen gilt diese Regel auf den «Westafrika-Routen» nicht. In zwei
Fällen konnten wir nach der Deportation mit Ausschaffungsgefangenen Kontakt
aufnehmen. Beide berichteten über maximale Gewaltanwendung der Zürcher
Kantonspolizisten beim Vollzug der Ausschaffung (Ruhigstellen, Fesseln,
Knebeln). Wir müsssen annehmen, dass mit der Gewaltanwendung verhindert
werden soll, dass die Ausschaffungsgefangenen auf der «Westafrika-Route»
mit dem Flugpersonal und den Passagieren sprechen. Geheimhaltung scheint
für die “Ausschaffungen ohne Papiere” das höchste Gebot.
Die Abschiebung von Michael Collins
Wie Ausschaffungen auf der Westafrika-Route in der Praxis vollzogen werden,
konnte “augenauf” in den letzten Wochen am Fall des 17-jährigen Michael
Collins mitverfolgen. Michael ist am Montag, den 7. Juni 1999 aus dem
Flughafengefängnis in Zürich abgeholt worden. Gleichentags ist er gefesselt
und mit einem Klebeband geknebelt nach Abidjan ausgeschafft worden. Dort
übergaben ihn die begleitenden Zürcher Kantonspolizisten der lokalen
Flughafenpolizei. Auf dem Polizeiposten in Abidjan wurde Michael
festgehalten. Telefonisch konnte er im Verlauf der Woche mit einem
Bekannten in der Schweiz Kontakt aufnehmen. Dieser informierte “augenauf”.
Am Freitag, den 11. Juni 1999, gelang es uns, telefonisch mit der
Polizeistation auf dem Flughafen von Abidjan Kontakt aufzunehmen. Michael
wurde ans Telefon geholt. Er berichtete uns, dass er am Sonntag, den 13.
Juni 1999, nach Sierra Leone transportiert werden soll und dass er sich
dagegen wehren werde. In der Nacht auf Samstag konnte Michael erneut in die
Schweiz telefonieren. «They treat me badly, please call Jesus». Jesus ist
der «Vertrauensanwalt» der Schweizer Botschaft in Abidjan. Dieser teilte
“augenauf” mit, dass Michael am Sonntag nach Sierra Leone abgeschoben
werde. Die Botschaft Sierra Leones in Abidjan habe ein Laisser-passer
ausgestellt. “augenauf” versucht, diese Deportation ins Ungewisse noch zu
verhindern. Der auf der Schweizer Botschaft in Abidjan für die
Westafrika-Route zuständige Beamte weigerte sich jedoch, im Fall von
Michael Collins zu intervenieren. Der erste Versuch, Michael von Abidjan
nach Sierra Leone abzuschieben, scheitert. Am Montag kann er erneut von
Abidjan aus in die Schweiz telefonieren. Er hinterlässt auf dem
Telefonbeantworter eine Botschaft: «Sir, please, they beat me...». Am
späten Montagabend kontaktiert “augenauf” nochmals Jesus. Dieser teilt am
Telefon wüste Beschimpfungen aus. Wo Michael Collins sei? «Il est retourné
chez lui avec le deuxième avion». Wir müssen annehmen, dass der zweite
Versuch,
den 17-jährigen Michael Collins nach einer Woche Haft in Abidjan nach
Sierra Leone zu deportieren, am Montag erfolgreich war. Wie diese
Deportation vollzogen wurde, können wir nur ahnen.
Wie das BFF das Recht verdreht
Der Fall Michael Collins ist brisant, weil er im Detail belegt, wie die
Schweizer Ausschaffungsbehörden das Recht unterlaufen. Michael ist im
September 1998 im Transit auf dem Flughafen in Kloten gelandet. Er stellte
ein Asylgesuch, das vom BFF am 15. September 1998 abgelehnt wurde. Man
glaubte Michael nicht, dass er Bürger von Sierra Leone sei. Am 19.
September 1998 wurde er in Ausschaffungshaft gesteckt. Am 15. Januar 1999
schrieb die Zürcher Fremdenpolizei dem BFF, dass der Gefangene «nach wie
vor behauptet sierraleonischer Staatsbürger zu sein». Trotzdem nimmt man
an, dass er Ghanese sei und will ihn deshalb «für eine Ausschaffung nach
Accra» anmelden. Tags zuvor hat die Zürcher Kantonspolizei vom Konsul der
Republik Sierra Leone die Mitteilung erhalten, dass er auf Weisung der
Regierung in Freetown «bis auf weiteres keine Ausweispapiere
(Laissez-passer)» ausstellen dürfe. «Auf Grund der Unruhen ist der
Flughafen Freetown (Hauptstadt von Sierra Leone und einziger Anflugort)
geschlossen».
Michael Collins bleibt in Ausschaffungshaft, weil laut Haftrichterurteil
vom 21. Januar 1999 eine Anmeldung «bei der Scheizer Botschaft in Ghana für
eine Auschaffung nach Accra» geprüft werde. Am 5. März teilt das BFF mit,
dass «die Anmeldung für eine Rückführung heute an unsere zuständige
Vertretung gefaxt» wurde. Am 22. April 1999 wird Michael den
sierraleonischen Behörden vorgeführt, die «nicht bereit (waren), ein
Laissez-passer auszustellen».
Wie es dazu kam, dass Michael Collins im Mai auf die Reise nach Abidjan
geschickt wurde, um ihn von dort nun doch nach Sierra Leone abzuschieben,
geht aus den inzwischen verdeckt geführten Akten der Fremdenpolizei nicht
mehr hervor. Tatsache ist, dass die von der Schweiz aus nicht realisierbare
Ausschaffung Michael Collins in das Krisengebiet Sierra Leones auf dem
Umweg über Abidjan realisiert wurde. Das ist das Willkürregime, das auf den
«Westafrika-Routen» des BFF herrscht.
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