Bulletin Nr. 25; Juli 1999
Europa geht für Ausschaffungen über Leichen
In den letzten Monaten haben vier Ausschaffungshäftlinge ihren
Widerstand gegen ihre polizeiliche Ausschaffung mit dem Tod bezahlt
September 1998: Semira Adamu, Nigeria
März 1999: Khaled Abuzarifa, Palästina
Mai 1999: Marcus Omofuma, Nigeria
Mai 1999: Amir Ageeb, Sudan
Belgien und Österreich:
Semira Adamu und Marcus Omofuma
Bereits im September 1998 und am 1. Mai 1999 sind zwei Personen bei einer
erzwungenen Ausschaffung gestorben. Semira Adamu ist letzten September am
Kissen, das ihr im Flugzeug nach Togo vors Gesicht gedrückt wurde,
erstickt. Der Belgische Innenminister ist als Folge davon zurückgetreten,
für Ausschaffungen gab es ein zweimonatiges Moratorium. Aber bereits nach
einem Monat wurden die nächsten Ausschaffung vollzogen. Nachdem im Oktober
in Brüssel rund 1000 Mitglieder des Flughafenpersonals mit einer grossen
Solidaritätskundgebung gegen die gewaltsamen Deportationen protestiert
haben, sucht die belgische Regierung nun nach neuen Lösungen: Eine davon
ist, nicht mehr staatliche Fluggesellschaften zu beauftragen, sondern für
Ausschaffungen auf private oder militärische Flüge resp. Fluggesellschaften
zurückzugreifen (CARF No. 50, Campaign Against Racism and Fascism, Nederland).
Am 1. Mai ist der 25-jährige Nigerianer Marcus Omofuma in einem Flug mit
der bulgarischen Balkan Air zu Tode gekommen, auch er ist erstickt, am
Klebeband, dass ihm die drei begleitenden Polizeibeamten über den Mund
geklebt haben. Der österreichische Innenminister schwört, von dieser Praxis
nichts gewusst zu haben, verstosse sie doch – nach einem Urteil des Grazer
Gerichts vom 19.3.1997 – gegen die Menschenrechte. Allerdings war diese
Vorgehen durchaus üblich, wie nun in Österreich bekannt geworden ist. Im
konkreten Fall war nach der Untersuchung in der Ausschaffungshaft zudem
vergessen worden, die begleitenden Beamten über eine Bronchitis von Omofuma
zu informieren. Als eigentlicher Skandal wird in den österreichischen
Medien allerdings die Informationspolitik der Behörden nach dem Tod von
Omofuma empfunden. Die Darstellung, der Mund des „tobenden Nigerianers“ sei
auf Verlangen der Crew zugeklebt worden, bestreitet das Personal der Balkan
Air.
Immer dramatischer wird auch der Widerstand von Omofuma dargestellt. War
zunächst von Widerstand und Randalieren die Rede, soll Omofuma nach neustem
Stand beim Transport ins Flugzeug gebissen haben. Ein Pilot der Balkan Air,
der zufällig als Passagier mitflog, legt aber eine ganz andere Sichtweise
dar. Er sei über den Zustand des „wie eine Mumie“ an den Sitz gefesselten
Häftlings erschrocken gewesen und habe die drei Polizeibeamten mehrmals
ohne Resonanz zum Eingreifen aufgefordert.
Gegen die Beamten wird in der Zwischenzeit ermittelt, der Innenminister
will einen „Menschenrechts“-Beirat einberufen, in dem der Tod von Omofuma
gemeinsam mit Vertretern nichtstaatlicher Organisationen „schonungslos
untersucht“ wird. Und: Die Begleiter von Ausschaffungen sollen künftig eine
psychologische Schulung erhalten! (Frankfurter Rundschau: 11.05.1999)
es geht gleich weiter:
Deutschland – Amir Ageeb
Am 29. Mai 1999 ist der 30-jährige Sudanese Amir Ageeb an Bord einer
Lufthansa-Maschine ums Leben gekommen. Laut der ermittelnden
Staatsanwaltschaft in Landshut sei der Mann vor dem Abflug in Frankfurt
gewalttätig geworden. Weil er ums sich geschlagen habe, seit er im Flugzeug
an den Sitz seines Sessels gefesselt worden. Zudem wurde ihm ein
Motorradhelm aufgesetzt. Beim Start wurde Amir Ageeb der Kopf nach unten
gedrückt. Als man ihn wieder aufrichtete, gab er kein Lebenszeichen mehr
von sich. Der Flug wurde anschliessend in München unterbrochen und die
Leiche den Behörden übergeben. Eine erste Autopsie gab nach offizieller
Darstellung keinen Aufschluss über die genaue Todesursache(Neue Zürcher
Zeitung vom 31.05.1999). Eine zweite rechtsmedizinische Untersuchung hat
bis am 4. Juni nicht stattgefunden. Die Frankfurter Mediziner müssten
zuerst die Protokolle ihrer Münchner Kollegen sehen, war die die offizielle
Antwort.
In einem Kommuniqué haben die „Internationalen Ärzte für die Verhütung des
Atomkrieges“ (IPPNW) dem Bundesgrenzschutz eine „menschenverachtende“
Praxis vorgeworfen. Warnungen vor den Erstickungsgefahren bei Knebelungen
und atembehindernden Fesselungen seien ignoriert worden, kritisierte IPPNW
am 1. Juni in Berlin. Die Ärzte vermuten, dass der Kinnbügel des
aufgezwungenen Helms die Brustkorbatmung erheblich eingeschränkt haben
muss.(Frankfurter Rundschau vom 2.6.1999)
Bundesinnenminister Schily hat am 30. Mai 1999 als erste Konsequenz
angeordnet, dass alle Abschiebungen von Ausländern per Flugzeug, bei denen
die Behörden mit Widerstand rechnen müssten, ausgesetzt
werden.(Presseinformation der Bundesregierung vom 30.5.1999,
www.bundesregierung.de) Beim Bundesgrenzschutz am Flughafen gehen
unterdessen die Abschiebungen von sogenannten „Schüblingen“ weiter, die
sich nicht zur Wehr setzen.
Antifolterkomitee des Europarates
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass nur wenige Tage vor diesem
Todesfall, am 27. Mai 1999, das Antifolterkomitee des Europarates seinen
Bericht über den Besuch am Frankfurter Flughafen vom 25.-27. Mai 1998
veröffentlicht hat.
Bei seinem Besuch erhielt das Antifolterkomitee unter anderem eine interne
Dienstanweisung zur Rückführung von Ausländern vom 21. Januar 1998. Die
Dienstanweisung hält fest, dass bei der Anwendung von Gewalt bei
Rückführungen das Prinzip der Verhältnismässigkeit zu wahren sei (respect
the principle of proportionality when using force), dass verschiedene
Massnahmen verboten seien (Knebelung des Mundes, Verwendung von Klebeband
im Gesicht) und dass keine Rückführungen um jeden Preis vorzunehmen seien
(deutsch im Bericht). Alle Bundesgrenzschutzbeamten, die an Deportationen
teilnehmen, haben die Kenntnisnahme dieser Dienstanweisung schriftlich
bestätigen müssen. Das Antifolterkomitee hat diese Dienstanweisung sehr
begrüsst.(European Commitee for the Prevention of Torture and Inhuman or
Degrading Treatment or Punishment (CPT); Report to the German Government on
the visit to Frankfurt am Main Airport from 25 to 27 may 1998;
Publication Date: 27 Mai 1999, www.cpt.coe.fr/en/reports/inf9910e1.htm)
Die Anwendung von Helmen sei nur erlaubt, wenn die Gefahr einer
Selbstgefährdung oder Gefahr für die Beamten, gebissen zu werden, besteht.
Hier machte das Komitee genaueren Regelungsbedarf aus.
Auch Bundesgrenzschutz-Sprecher am Frankfurter Flughafen, Klaus Ludwig,
verwies auf die Dienstanweisungen: Zu den erlaubten Zwangsmitteln gehörten
Integralhelm, Hand- und Fussfesseln, sonst nichts. Seit 1994 ein
Ausschaffungshäftling zu Tode gekommen ist, sei die Anwendung von Knebeln,
und allem, was die Atemwege behindern könnte, dienstlich verboten.
Dass sich die ausschaffenden Beamten nicht an diese Dienstanweisung halten,
zeigte sich beim Strafprozess um den Tod des Ausschaffungshäftlings Bankole
im Jahre 1994. Befragte Grenzschützer sprachen von privat beschafften
Rolladen- und Autogurten, alten Socken als Knebel und Paketklebeband, um
den Mund der Auszuschaffenden zu verschliessen. „Pro-Asyl“ geht davon aus,
das verbotene Zwangsmittel auch noch nach dem Fall Bankole eingesetzt
wurden. Ein Bundesgrenzschutz-Zeuge hat im Bankole-Verfahren, das 1997
beendet wurde, zu Protokoll gegeben, dass er Knebel immer noch einsetze und
dies seines Wissens nicht verboten sei. Obwohl es mittlerweile Hunderte von
Klagen gegen Bundesgrenzschutzbeamte geben würde, kommt es immer wieder zur
Einstellung der Verfahren, wegen „Beweisnot“!(Kölnische Rundschau vom 1.
Juni 1999)
Es scheint, dass sich Polizeibeamte und -beamtinnen in der Zwischenzeit
daran gewöhnt haben, den Grundsatz der Verhältnismässigkeit bereits in
ihren Rapporten zu erwähnen. Im 51. Jahr der Unterzeichnung der
Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen werden mit der
Illegalisierung und Kriminalisierung von Geächteten eine ständig wachsende
Anzahl von Menschen zu Freiwild erklärt. Abgestempelt zu Sündenböcken der
Gesellschaft gehen ihre Rechte im Schweigen der Öffentlichkeit unter.
Selber schuld, wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist.
Selber schuld, wer eine andere Hautfarbe hat.
Selber schuld, wer sich wehrt und dabei stirbt.
´augenauf´ Bern
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