Bulletin Nr. 26; Oktober 1999
Ausschaffungsjet nach Beirut
Ein "Pilotprojekt" der Zürcher Frepo
Am 18. August schaffte sich die Zürcher Fremdenpolizei mit einem
Ausschaffungsjet zwei Menschen vom Hals, die im Ausschaffungsverfahren
Opfer einer Zwangsmedikation geworden sind. Als "Pilotprojekt" bezeichnet
Frepo-Chef Gürtler die Deportation von Ahmad H. und Ibrahim M. nach Beirut.
Das Vorgehen der Polizei ist brutal, absurd und sündhaft teuer.
Am Morgen des 19. August klingelt bei einem augenauf-Mitarbeiter das
Telefon. Zwei Kantonspolizisten hatten im Asylfoyer die Sachen von Ahmad H.
packen wollen. Ahmad selber sei nicht mehr gesehen worden. Die Alarmglocken
läuten. Am 4. August hatte der Gesamtregierungsrat des Kantons Zürich einen
Rekurs gegen den von der Fremdenpolizei (Frepo) abgelehnten Antrag, dem
psychisch kranken Mann aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung
zu geben und auf eine Zwangsausschaffung zu verzichten, abgeschmettert.
Jetzt schien die Frepo zu handeln.
Der am 28. Mai 1997 von der Polizei aufgegriffene Ahmad H. hatte nach einer
Odyssee durch Ausschaffungsgefängnisse und diverse psychiatrische Kliniken
im Februar 1998 ein Zimmer im Foyer für Asylsuchende bezogen. Am 28. März
1998 und am 19. Dezember 1998 hatte die Frepo erfolglos versucht, ihn mit
Zwangsmitteln auszuschaffen. Beim zweiten Ausschaffungsversuch hatte ihm
ein Arzt derart starke Beruhigungsmittel verabreicht, dass Ahmad H. nach
Abbruch der Aktion noch drei Tage lang handlungsunfähig blieb. Eine
Strafanzeige wegen Zwangsmedikation gegen den behandelnden Arzt und die bei
der Tat als Helfer anwesenden Polizisten liegt seit Mai 1999 beim
Bezirksanwalt.
Wir von augenauf setzen an diesem Donnerstag im August alle Hebel in
Bewegung, um über den Verbleib von Ahmad H. etwas in Erfahrung zu bringen.
Wir fürchten um die Gesundheit des kranken Mannes, der in der Vergangenheit
immer zusammengebrochen ist und von Selbstmord gesprochen hat, wenn die
Zürcher Fremdenpolizei zu Zwangsmitteln griff. Anwalt und Kantonsrät-Innen
intervenieren bei Kapo und Frepo. Ausser der lakonischen Bemerkung von Urs
Gürtler, dem Chef der Zürcher Fremdenpolizei, der Fall Ahmad H. sei ein
"Pilotprojekt", erfahren wir nichts.
Erst gegen Abend werden wir im Flughafengefängnis fündig. Ahmad H. sei am
Dienstag von der Kantonspolizei gebracht und am Mittwoch bereits wieder
abgeholt worden, erklärt uns die Gefängnischefin Barbara Ludwig. Die
Ausschaffung sei bereits vollzogen gewesen, als am Donnerstagmorgen die
beiden Kantonspolizisten das Zimmer von Ahmad H. im Foyer räumen wollten.
Die "Pilotaktion" war von Urs Schwarz, dem Leiter des Ausschaffungsbüros
der Zürcher Fremdenpolizei, so geplant worden, dass vor dem Vollzug niemand
etwas von den Plänen der Frepo merken konnte. Man liess Ahmad H. sogar
polizeilich beschatten, um ihn zwei Tage vor der geplanten Deportation
spätabends beim Escher-Wyss-Platz auf offener Strasse verhaften zu können.
Am 19. August ging bei augenauf noch ein anderes Telefon ein. Ibrahim M.,
der zweite Mann, dessen Zwangsmedikation im Ausschaffungsverfahren (
Ibrahim M. ist im August 1997 vom Tessiner Arzt Jean-Oscar Meile auf einem
Flug nach Beirut begleitet worden. Der von der Kantonspolizei Zürich
beauftragte Meile hat Ibrahim M. wiederholt Injektionen verabreicht und dem
Gefangenen damit während des vierstündigen Fluges nach Beirut faktisch das
Bewusstsein geraubt.) von uns dokumentiert worden ist, sei ebenfalls nach
Beirut ausgeschafft worden. Die Konsternation war gross. Am Vortag ist im
Flughafengefängnis ein gültiger libanesischer Reisepass mit einem ebenso
gültigen bulgarischen Visa für Ibrahim M. abgegeben worden. Der Mann hatte
bereits ein Hotelzimmer in Sofia reserviert und wollte den Flug in das
Drittland auch selber bezahlen. Doch Ibrahim M. durfte nicht in das
Drittland ausreisen, weil auch er Teil des Pilotprojekts der Zürcher Frepo
war. Über ihn erfuhren wir die Details.
Am Mittag des 18. August hob ein Kleinflugzeug einer bis heute unbekannten
Firma vom Flughafen Kloten ab. An Bord waren Ahmad H. und Ibrahim M., sowie
acht Zürcher Kantonspolizisten. Ibrahim hatten die Polizisten in die
berüchtigten Combinaison - den armlosen Overall für Zwangsausschaffung -
gesteckt. Er trug den neuen Ausschaffungshelm, sein Kinn war fixiert, sein
Mund mit einem Band verschlossen, sein Kopf mit einem weiteren Band an den
Flugsessel gebunden. Das Einzige, was er auf dem vierstündigen Flug nach
Beirut bewegen konnte, waren die Augen. Mit diesen konnte Ibrahim M.
verfolgen, wie Ahmad H. ins Flugzeug getragen und im vorderen Teil des Jets
an einen Sessel gefesselt wurde. Sein Mithäftling sei ebenfalls verschnürt
und verpackt gewesen. Die Polizisten hätten ihm jedoch höchste
Aufmerksamkeit geschenkt. Man habe die Nervosität der Beamten spüren
können. Nach der Landung in Beirut sei ein vom Schweizer Konsulat
bestellter Arzt ins Flugzeug gekommen. Der Allgemeinpraktiker habe jedoch
nichts für
den völlig von der Rolle geratenen Ahmad H. tun können.
Hilflos waren auch die Beiruter Grenzbeamten. Die Ankunft der beiden
verschnürten und verpackten Menschen hatte sie überrascht. Zuerst gingen
sie davon aus, dass es sich bei den beiden um "Schwerverbrecher" handeln
müsse. Als die libanesischen Grenzer jedoch merkten, dass der eine der
Gefangenen schwer krank ist, kippte die Stimmung auf dem Beiruter
Flughafen. Empörung über die Schweizer Beamten und ihr unmenschliches
Vorgehen und Hilflosigkeit in der Frage, was mit Ahmad H. zu tun sei,
beherrschten die Szene. Bevor man Ibrahim M. laufen liess, wollte man von
ihm noch etwas über die Krankengeschichte seines Mithäftlings erfahren.
Dazu konnte er jedoch keine Auskunft geben.
Was weiter geschah, wissen wir von der Familie von Ahmad H., mit der wir
nach der Ausschaffung Kontakt aufnehmen konnten. Am Abend des 18. August
haben die Eltern einen Anruf erhalten. Von den libanesischen Behörden
wurden sie darüber informiert, dass sie ihren Sohn auf dem Flughafen in
Beirut abholen müssten. Sie seien sofort zum Flughafen gefahren, hätten
dort aber noch Stunden warten müssen. Die Grenzpolizei habe Ahmad H. nicht
in gleich lamentablen Zustand der Familie aushändigen wollen, in dem man
den jungen Mann von den Zürcher Kantonspolizisten übernommen hatte. Nach
vier Stunden seien zwei Grenzbeamte gekommen, zwischen ihnen der Sohn. Als
die Beamten Ahmad H. losgelassen hätten, sei dieser wie ein Stück Stoff in
sich zusammengefallen. Erst Tage später habe er zu sprechen begonnen und
sie - seine Eltern - wieder erkannt.
Empörung, Wut und Trauer sind aus den Worten der Familie zu spüren. Vor
drei Jahren hatte ihr Sohn Beirut als gesunder Mann verlassen. In
Westeuropa hat er die Orientierung verloren (Ahmad H. gab in der ersten
Einvernahme am 28. Mai 1997 auf dem Polizeiposten in Regensdorf an, dass er
aus dem Internet komme und die Schweiz über das Internet wieder verlassen
wolle. Die Behauptung der Fremdenpolizei, mit dieser Geschichte wolle sich
Ahmad H. den Aufenthalt in der Schweiz erschleichen, fand nie auch nur den
Hauch einer Bestätigung.). An der Schweizer Ausschaffungsmaschinerie ist er
zerbrochen.
Ziehen wir Bilanz über das "Pilotprojekt" der Herren Schwarz und Gürtler.
Ein Flugzeug gechartert. Kostenpunkt geschätzt 150’000 Franken. Acht
Zürcher Kantonspolizisten Beirut retour geschickt. Ein Mann, der mit einem
gültigen Pass und Visa nach Bulgarien fliegen wollte, nach Beirut
zwangsausgeschafft. Ein psychisch Kranker ohne ärztliche Hilfe in Beirut
abgeladen. Glück gehabt, dass nichts Schwerwiegendes passiert ist.
Vielleicht werden Zürcher Kantonspolizisten ein anderes Mal wegen
unmenschlicher Behandlung im Ausland in Haft genommen. Die Zürcher Frepo -
ein Narrenschiff? Nein: Eine brandgefährliche Organisation, die gestoppt
werden muss, bevor noch weitere Leute zu Schaden kommen.
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