Bulletin Nr. 26; Oktober 1999
BFF-Bürokraten und Kinderrechte
Paragraphen statt Menschlichkeit
Eine zehnjährige Halbwaise - Opfer des ruandischen Bürgerkrieges -
will zu ihrem Vater nach Belgien. In Zürich gerät es in die Hände der
Schweizer Flüchtlingsbürokraten. Das Unglück nimmt seinen Lauf.
Marie-Aimable ist Ruanderin und Halbwaise. Ihre Mutter starb im
Bürgerkrieg. Ihr Vater lebt in Belgien. Er wartet dort auf seinen
Asylentscheid. Die letzten Jahre lebte das Kind bei seiner Grossmutter in
Kigali. Weil diese nicht mehr für ihre Enkelin sorgen konnte, beschloss die
Familie, das Mädchen zu seinem Vater zu bringen. Weil Belgien - wie die
Schweiz - auch in Härtefällen während des Asylverfahrens die
Familienzusammenführung verweigert, musste die Reise verdeckt organisiert
werden.
Marie-Aimable flog mit einer Begleiterin von Tansania nach Europa. Der Flug
führte sie über Zürich. Hier strandeten die beiden am 26. Juli 1999. Weil
sie keine gültigen Reisedokumente vorweisen konnten, blieben sie im
Klotener Transit hängen. Um einer Rückschaffung nach Tansania zu entgehen,
beantragten die beiden als Mutter und Kind Asyl. Dieses wurde am 30. Juli
abgelehnt. Um der erneut drohenden Ausschaffung zu entgehen, gab die
Begleiterin des Mädchens jetzt zu, nicht die Mutter zu sein. Von da an galt
das 10-jährige Mädchen als unbegleitetes Kind. Das BFF ordnete ihre
sofortige Einreise in die Schweiz an. Am 31. Juli 1999 wurde Marie-Aimable
aus dem Transit des Flughafens Kloten abgeführt und in die Empfangsstelle
nach Kreuzlingen gebracht. Ihre Begleiterin musste im Transit zurückbleiben.
Für das vom Bürgerkrieg in Ruanda gezeichnete Mädchen nahm das Trauma in
Kreuzlingen seinen Gang. Die für den Transport verantwortlichen Polizisten
konnten sich dem Kind nicht erklären. Im Empfangszentrum wurde das
verstörte Mädchen den am Wochenende allein anwesenden Wachpersonal
übergeben. Bis zur ersten Asylbefragung, die auf Dienstag, den 3. August
angesetzt war, wusste Marie-Aimable nicht, was mit ihr geschah. Der Versuch
des Empfangsstellenpersonals, das Kind zu impfen, musste scheitern, weil
das Mädchen panische Angst hatte. Auf die Idee, das Mädchen mit seinem
Vater in Belgien telefonieren zu lassen, kam in Kreuzlingen kein Schwein.
Als am 3. August die Rechtsvertreterin in der Empfangsstelle den Kontakt
zwischen Kind und Vater herstellen wollte, musste sie der kleinen
Asylbewerberin das Geld für den Telefonautomaten leihen.
Die Rechtsvertreterin von Marie-Aimable hat den Leiter der Empfangsstelle
Kreuzlingen wiederholt darauf hingewiesen, dass ein weiterer Aufenthalt des
Kindes im Lager unzumutbar sei. Das BFF war bereits am Donnerstag, den 5.
August, im Besitz der Adresse einer ruandischen Familie, die bereit war,
das Kind vorübergehend bei sich aufzunehmen. Die Beamten haben es jedoch
unterlassen, dem Leiden ein Ende zu geben und das Kind dem Kanton Genf
zuzuweisen.
Eine Betreuerin im Empfangszentrum in Kreuzlingen entschloss sich
schliesslich, das inzwischen stark traumatisierte Mädchen zu sich nach
Hause zu nehmen. Sie habe das Mädchen am Abend nicht schreiend im Lager
zurücklassen können, erklärte sie der Rechtsvertreterin von Marie-Aimable.
Am 11. August - elf Tage nach der Einlieferung des Mädchens nach
Kreuzlingen - war der Alptraum dann doch vorbei. Nach heftigen Intervention
der Rechtsvertreterin hat sich in Bern jemand gefunden, der Marie-Aimable
einer auf Kinder spezialisierten Flüchtlings-Institution in Genf zuwies,
die längst auf die Ankunft der Kleinen wartete.
Dank dem entschlossenen Handeln einer Drittperson konnte das Kind später
von Genf aus nach Belgien reisen. "Schlepperdienste" machten möglich, was
das humanitäre Europa nicht mehr in seinem Programm hat.
Zurück bleibt der Schrecken, mit welch menschenverachtender Energie Beamte
des Bundesamtes für Flüchtlinge die Rechte des Kindes missachtet haben. Es
ist unverantwortlich, wenn mit Kindern reisende Personen im Transit des
Flughafens Kloten festgehalten werden. Es ist noch unverantwortlicher, ein
aus einem Bürgerkriegsgebiet kommendes Kind von seiner einzigen
Begleitperson zu trennen. Und es ist nicht hinnehmbar, dass ein
traumatisiertes Mädchen aufgrund einer Laune von Schweizer Beamten elf Tage
lang ohne Bezugsperson in einer Empfangsstelle festgehalten wird.
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