Bulletin Nr. 28; Juli 2000
Folgen einer verweigerten Behandlung im Empfangszentrum Chiasso
"Du simulierst doch!"
Krankenkassen protestieren, die Behandlung von Asylbewerbern koste zuviel,
und drohen mit der Kündigung der Kollektivverträge zur Versicherung von
Flüchtlingen.
Schlimmer noch: An einer Podiumsdiskussion im Juli 1999 zum Thema
Gesundheitswesen und Senioren kommt es zu offen rassistischen Ausbrüchen.
""Jetzt muss endlich auf den Tisch, dass nicht wir Alten schuld sind an den
immer teureren Gesundheitskosten, sondern die Asylanten!", meine eine alte
Frau - und erntete Zustimmung. (TA vom 13. Juli. 1999).
Der Staat verweigert heute Asylsuchenden eine medizinische Behandlung, die
über das Allernotwendigste hinausgeht. Zähne werden zum Beispiel eher
gezogen als geflickt. Die Zweiklassen-Medizin ist keine Horrorvorstellung
für die Zukunft, sondern Realität für Flüchtlinge.
Doch wie immer eilt die Praxis der Gesetz- und Verordnungsgebung voraus.
Dies zeigt das Erlebnis von D.A. im Empfangszentrum Chiasso.
"Der Arzt kann jetzt nicht kommen."
D.A., eine junge Frau aus dem Irak, flüchtet gemeinsam mit ihrem Mann in
einer langen und beschwerlichen Reise über die Türkei und Griechenland in
Richtung Schweiz. In Griechenland bleibt sie zurück, ihr Mann holt sie
nach, sobald er sich in einem Durchgangszentrum in der Schweiz in
Sicherheit weiss. Sie wird ins Empfangszentrum Chiasso gebracht. Übers
Wochende besucht sie ihren Mann im Durchgangszentrum, verpasst am Montag
darauf dann aber ihre Befragung, weil sie erst am Morgen dazu aufgerufen wird.
Am folgenden Dienstag bekommt sie heftige Bauchschmerzen. Natürlich meldet
sie sich beim zuständigen Verwalter und verlangt einen Arzt zu sehen. D.A.
leidet an einem Herzklappenfehler. Sie bekommt ihre Tagesration an
Medikamenten und ein Schmerzmittel zusätzlich. Die Schmerzen lassen nicht
nach, sondern werden schlimmer. Wieder meldet sich D.A. beim Verwalter. Sie
bekommt zu hören, sie simuliere doch nur, weil sie die Befragung verpasst
habe. Ausserdem gebe es erst in drei Tagen eine Arztvisite, solange habe
sie zu warten.
"Wenn du wirklich Schmerzen hättest, könntest Du nicht
herumlaufen."
D.A.s Schmerzen lassen nicht nach und sie meldet sich wieder im Büro.
Schnoddrig wird ihr zu Verstehen gegeben, dass man ihr nicht glaubt: "Wenn
du wirklich Schmerzen hättest, könntest Du nicht so rumlaufen." Am Abend
ruft sie verzweifelt ihren Mann an, der selber Arzt ist. Auch er kann im
Büro des Empfangszentrums nichts erreichen. Endlich um 23 Uhr, wird sie,
schreiend vor Schmerz, ins Spital von Mendrisio gebracht. Dort ist aber
unterdessen nur noch ein unerfahrener Assistenzarzt vor Ort, der sie wieder
ins Empfangszentrum zurückschickt. D.A. bricht daraufhin endgültig zusammen
und nach weiteren zwei Stunden bringt man sie ins Spital von Mendrisio zurück.
D.A. wird am nächsten Morgen notfallmässig operiert. Sie litt an einer
Torsion (Verdrehung) eines Eileiters. Ein Teil des Eileiters ist aufgrund
der verspäteten Behandlung abgestorben. D.A. erlitt während 24 Stunden
völlig unnötig schreckliche Schmerzen. Ihre Chancen, Kinder zu haben, sind
nun verringert.
augenauf hat zusammen mit D.A. und ihrem Mann beim BFF interveniert und
eine Aufklärung des Vorfalls verlangt.
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