Bulletin Nr. 28; Juli 2000
Die Familie des bei der Ausschaffung erstickten Khaled Abuzarifa
fordert Gerechtigkeit
Kein Wort des Bedauerns aus Bern
Auch 16 Monate nach dem schrecklichen Erstickungstod Khaled
Abzuzarifas während seiner Ausschaffung nach Kairo haben es die Schweizer
Behörden noch immer nicht für nötig befunden sich für das Vorgefallene bei
den Angehörigen zu entschuldigen, geschweige denn irgend eine Form von
Entschädigung zu entrichten. Die Verantwortlichen schweigen.
Am 5. Mai 2000 ist augenauf mit den Fakten zum Mord an Khaled Abuzarifa an
die Öffentlichkeit getreten. Wir haben die Ergebnisse des Autopsieberichts
vom 29. Dezember und die Bilder der Rekonstruktion des Fesselungsvorgang
vom 15. November veröffentlicht. Wir haben ausserdem über unseren Besuch
bei den Angehörigen von Khaled Abuzarifa im Gazastreifen berichtet. Unsere
Forderungen sind klar: Neben der Bestrafung der für den Mord an Khaled
Verantwortlichen, zu denen neben den beteiligten Beamten und dem Arzt
selbstverständlich auch die Vorgesetzten zählen, muss jetzt auf
unbürokratischem Weg der Familie geholfen werden. Ein ordentliches
Schadenersatz- und Entschädigungsverfahren kann erst nach einem
rechtskräftigen Urteil eingeleitet werden. Und das kann - wenn der Kanton
Bern sich quer stellt - noch Jahre dauern. Das Opferhilfegesetz zeigt, wie
den Angehörigen von Opfern eines Gewaltverbrechens geholfen werden kann. Es
geht nicht an, dass Angehörige eines Sans-Papiers anders behandelt werden.
Nachfolgend dokumentieren wir den der Presse vorgelegten Bericht über die
Familie Abuzarifa.
Wer war Khaled Abuzarifa
Khaled Abuzarifa ist in Algerien aufgewachsen. Er schloss dort das
Grundstudium der Ingenieurwissenschaften ab. Aus familiären und politischen
Gründen verliess er 1992 zusammen mit seiner Mutter Sharifa und fünf seiner
sechs Geschwister Algerien und zog in das Dorf im Gazastreifen, aus dem
seine Mutter nach dem Sechs-Tage-Krieg geflohen war. Der Vater , der nur
einen ägyptischen Flüchtlingspass besitzt, konnte sich nicht in den
palästinensischen Autonomiegebieten niederlassen.
Khaled konnte sein Studium in Gaza aus finanziellen Gründen nicht
fortsetzen. Wie zehntausende anderer Palästinenser ging er nach Israel, um
schwarz auf dem Bau zu arbeiten. Er ernährte mit seinen Einkünften von 1993
bis 1997 seine Mutter und seine drei jüngeren Brüder und beteiligte sich an
der Finanzierung des Studiums seines in Algier zurückgebliebenen Bruders
Hisham. Die beiden Schwestern haben in Palästina geheiratet.
Aufgrund der immer härteren Restriktionen für Schwarzarbeiter in Israel
fasste Khaled Abuzarifa 1997 den Entschluss, nach Europa zu gehen, um hier
zu studieren und Geld zu verdienen. Er hatte die Absicht, sich in Italien
niederzulassen, fand dort aber keine Arbeit. Ende 1997 reiste er in die
Schweiz ein. Er hoffte, sich mit einem Asylgesuch einen Aufenthalt zu
ermöglichen. Seiner Familie liess er wiederholt Geld zukommen.
Im April 1998 wurde Khaled verhaftet und in Untersuchungshaft gesetzt. Im
Januar 1999 verurteilte man ihn zu einer bedingten Gefängnisstrafe wegen
Betäubungsmittelhandels. Gleichzeitig wurde er des Landes verwiesen.
Aus den Akten geht hervor, dass Khaled Abuzarifa sich einem ersten
Ausschaffungsversuch nach Kairo am 10. Januar 1999 erfolgreich widersetzt
hatte. Er verlangte, direkt nach Tel Aviv oder nach Gaza ausgeflogen zu
werden. Ebenfalls aus den Akten geht hervor, dass das Bundesamt für
Flüchtlinge (BFF) Druck auf einen raschen zweiten Ausschaffungsversuch
machte. Khaled war im Besitz eines Passes der palästinensischen
Autonomiebehörde, dessen Gültigkeit am 10. März 1999 - eine Woche nach dem
fatalen 3. März also - auslief. Der für die Ausschaffung zuständige Berner
Beamte schrieb am 28. Februar in einem Fax an die Zürcher Flughafenpolizei:
«Die ägyptischen Behörden haben sich bereit erklärt, Abuzarifa zu
Übernehmen und an die Grenze zu Gaza zu stellen.» Und weiter: «Um die
Ausschaffung auch sicher vollziehen zu können stellen wir den Antrag, uns
(im Flugzeug, Anm. augenauf) einen Vorhang zur Verfügung zu stellen. Der
Mann muss gefesselt und verklebt werden». Die weiteren Ereignisse sind bekannt.
Wie die Angehörigen von Khaleds Tod erfuhren
Am 4. März 1999 - einen Tag nach dem Tod von Khaled - nahm der für den
arabischen Raum zuständige Beamte im BFF, der schon die sonderbare
Ausschaffungsroute über Kairo organisiert hatte, Kontakt mit dem
palästinensischen Botschafter in Genf auf. Nabil Ramlawi sagt, dass ihm
der BFF-Beamte zu diesem Zeitpunkt Adresse und Telefonnummer der
Angehörigen übergeben hatte. Weitere Vorkehrungen trafen die Schweizer
Behörden nicht. Nach der Autopsie wurde der Leichnam einem
Bestattungsinstitut übergeben, das den Transport über Tel Aviv an den
Checkpoint Erez - dem Übergang zum palästinensischen Autonomiegebiet -
organisierte. Am Freitag, den 12. März 1999 - dem islamischen Sonntag -
wurde der Leichnam der Familie in Erez übergeben.
Die Angehörigen hatten zu diesem Zeitpunkt telefonischen Kontakt mit Nabil
Ramlawi. Von diesem hatten sie erfahren, dass Khaled an einem Herzversagen
gestorben sein soll. Daran zweifelte insbesondere die Mutter, hatte sie
doch noch im Februar mit Khaled telefoniert und nichts über Beschwerden
gehört. Weitere Informationen erhielt jedoch weder die Familie, noch der
palästinensische Botschafter in Genf. Bis heute hat sich kein Vertreter des
Kantons Bern oder des Bundes mit den Angehörigen in Verbindung gesetzt. Die
Berner Kantonspolizei hat es nicht einmal für nötig befunden, die nach dem
Tod von Khaled nach Bern zurücktransportierten Effekten der Familie
zukommen zu lassen. Ausser einem kleinen Passfoto gibt es in ihrem
ärmlichen Haushalt in Gaza bis heute keine Gegenstände, die an ihren Sohn
und Bruder erinnern würden.
Noch am 12. März 1999 wurde Khaled Abuzarifa auf dem Friedhof seines Dorfes
beerdigt. Da nach islamischem Brauch der Leichnam im Hause seiner
Angehörigen aufgebahrt wird, entdeckten die Menschen dort die Spuren der
Elektroschockgeräte, die bei der Reanimation in Zürich eingesetzt worden
waren. Diese Spuren führten zum Gerücht, dass Khaled Abuzarifa in einer
Schiesserei umgekommen sein könnte. Ein Gerücht, das die Familie mangels
Informationen aus der Schweiz nicht richtig dementieren konnte.
Dies änderte sich erst, als die Familie anfangs Dezember 1999 über die
palästinensische Menschenrechtsorganisation "Palestinian Center for Human
Rights" den Kontakt zu augenauf herstellen konnte. augenauf übernahm das
Mandat, die Interessen der Familie hier in der Schweiz zu vertreten. Der
Zürcher Rechtsanwalt Marco Mona vertritt die Familie als
Geschädigtenvertreter im Gerichtsverfahren.
Ansprüche auf Schadenersatz
Bis heute wartet die Familie Abuzarifa nicht nur auf ein Wort des Bedauerns
der Schweizer Behörden, die für den Tod ihres Sohnes und Bruders
verantwortlich sind. Bis heute wartet die Familie auch auf eine finanzielle
Entschädigung.
Neben Leid, der Ungewissheit und der Demütigung, die Sharifa und ihre Söhne
und Töchter in den letzten 16 Monaten erfahren haben, gibt es ungedeckte
Kosten in fünfstelliger Höhe für den Transport der Leiche, die
Bestattungsfeierlichkeiten, die getätigten Abklärungen und die medizinische
Betreuung der Mutter, die seit dem Tod ihres Sohnes an schweren
Depressionen leidet.
Und das ist längst nicht alles. Mit Khaled haben Mutter Sharifa, die Brüder
Hisham (er musste sein Studium in Algier abbrechen), Mohammed und der
12-jährige Suleiman nach der Trennung von ihrem Vater ein zweites Mal ihren
Ernährer verloren. Seit einigen Monaten lebt auch Khaleds jüngere Schwester
Ghada mit ihren drei kleinen Kindern wieder im Haushalt der Mutter.
Mit dem peinlichen Argument, nicht in ein laufendes gerichtliches Verfahren
eingreifen zu wollen, verweigert sowohl der Regierungsrat des Kantons Bern,
als auch das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement jede Diskussion
über den Fall. In der Schweiz ist in den letzten Jahren viel für die
unbürokratische Hilfe an Opfer von Gewaltverbrechen getan worden. Im Fall
Abuzarifa könnten die Behörden zeigen, dass es ihnen auch in schwierigen
Situationen Ernst ist mit der Opferhilfe.
Forderungen
Die Geschichte des Todes von Khaled Abuzarifa ist auch eine Geschichte der
Schweizer Behörden. Eine Geschichte von Vertuschung, Verleumdung und
Verharmlosung eines Mordes. Die Gefahr, dass weitere Todesfälle im
Ausschaffungsverfahren passieren oder bereits passiert sind, ist
offensichtlich.
Wir treten deshalb mit drei Forderungen an die Öffentlichkeit:
1. Die Verantwortlichen sind mit der ganzen Härte des Gesetzes zu
bestrafen. Mit den Verantwortlichen meinen wir nicht nur den beteiligten
Arzt und die beteiligten Polizeibeamten. Sie haben ihre - erst noch
unklaren - Befehle befolgt. Wir meinen mit den Verantwortlichen ihre
Vorgesetzten und vor allem die politisch Verantwortlichen, die die
lebensgefährlichen Massnahmen angeordnet haben und - das ist der Skandal! -
weiterhin anordnen. Zu den Verantwortlichen zählen wir ganz sicher die
Berner Polizei- und Militärdirektorin Dora Andres und die Zürcher Polizei-
und Justizdirektorin Rita Fuhrer.
2. Noch hat kein einziger Schweizer Beamter es für nötig befunden, mit den
Hinterbliebenen Kontakt aufzunehmen. Wir fordern deshalb, dass die
Schweizer Behörden sofort mit der Familie Abuzarifa Kontakt aufnehmen( die
Adresse können wir ihnen gerne geben. falls sie sie inzwischen verloren
haben) und sich entschuldigen. Weiter verlangen wir eine sofortige
Entschädigung der Familie Abuzarifa, ohne dass sie durch einen jahrelangen,
schmerzhaften und teuren Schadenersatzprozess in der fernen Schweiz gehen
muss. Der Familie Abuzarifa entstand einErnährerschaden. Zusätzlich
entstanden der Familie durch den Tod von Khaled Abuzarifa Unkosten von ca.
20'000 Franken sowie natürlich immenser Schmerz. Die Familie braucht diese
Entschädigung jetzt.
3. Sämtliche Massnahmen bei der Ausschaffung, die die Atmung behindern,
gehören verboten und unter Strafe gestellt. Damit meinen wir ausdrücklich
jede Form von Fesselung und Knebelung und auch den "Zürcher Helm". Weiter
ist jede Form von Zwangsmedikation zu untersagen.
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