Bulletin Nr. 32; September 2001
Nach dem ersten Prozess zum Tod von Khaled Abuzarifa
Vorgesetzte müssen weiter zittern
Damit hat die Berner Polizeidirektorin Dora Andres nicht gerechnet. Das Verfahren gegen den Chef der
Berner Polizeitruppe, die für den Tod von Khaled Abuzarifa verantwortlich ist, muss neu aufgerollt werden.
Der Bülacher Einzelrichter Andreas Fischer hat am 2. Juli den zuständigen Bezirksanwalt angewiesen,
abzuklären, ob die Vorgesetzten des Beamten einen Befehl zum Fesseln und Knebeln erteilt hätten. Damit
kommen nun vielleicht die politisch Verantwortlichen der Tötung ins Spiel.
Der Prozess im Tötungsdelikt Khaled Abuzarifa hat die Aufmerksamkeit der Medien gefunden. Die Medienleute
sind schockiert über die Arroganz der beiden am Prozess anwesenden Polizisten, die Khaled Abuzarifa am 3.
März 1999 gefesselt und geknebelt haben, und über die Obstruktionspolitik einer Kantonspolizei, die ihre
Verantwortung nach wie vor nicht anerkennt. Der Einzelrichter war offensichtlich empört über das
Vorgefallene und über das Aussageverhalten der Beamten. Immer und immer wieder bohrte er nach, entlarvte
die Ignoranz der Angeklagten, ihr mangelndes Unrechtsbewusstsein, ihre Gedankenlosigkeit beim Vollzug der
Zwangsausschaffungen. Er weigerte sich zu glauben, dass es keine Hintermänner gibt.
Vor Gericht stand der Schweizer Staat
Die von der Kantonspolizei Bern bezahlten Anwälte hatten alle Mühe, die Legende von der Nichtexistenz
dienstlicher Regeln für die an Khaled vollzogene Level-3-Ausschaffung aufrechtzuerhalten. In Bülach standen
nicht bloss drei Polizisten und ein Arzt vor dem Richter, sondern auch der Staat. Der Prozess zeigte die
Empörung über den Exzess einer Gewalt, die von immer mehr Leuten als rassistisch begriffen wird.
Juristisch war die Lage etwas unübersichtlicher. Für einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung reicht es
nicht, wenn ein Mensch wegen den Handlungen eines Täters zu Tode kommt. Dem Täter muss vielmehr
nachgewiesen werden, dass der Tod des Opfers vermeidbar gewesen wäre, wenn er sich anders verhalten hätte.
Konkret: Von den begleitenden Polizisten hätte man zwar erwartet, dass sie den Mundknebel entfernen, als
Khaled nicht mehr ansprechbar war. Weil es aber nicht sicher ist, dass Khaled überlebt hätte, wenn die
Polizisten den Knebel sofort entfernt hätten, kam es zum Freispruch. Den beiden Beamten wurde jedoch je ein
Viertel der Kosten der Strafuntersuchung auferlegt.
Anders präsentiert sich die Lage für den Chef der Berner Beamten. Er hat es - so Richter Fischer in seiner
mündlichen Urteilsbegründung - unterlassen, im Vorfeld der Ausschaffung Erkundigungen über den
Gesundheitszustand Khaled Abuzarifas einzuholen. Er hat auch darauf verzichtet, weniger gravierende
Zwangsmassnahmen bei der Ausschaffung ins Auge zu fassen. Beide Tatbestände bezeichnet der Richter als
fahrlässig.
Ein neuer Prozess steht an
Wegen diesen Unterlassungen trägt der Chefbeamte eine erhebliche Schuld am Tod von Khaled Abuzarifa. Diese
Schuld könnte nur relativiert werden, wenn der Beamte nachweisen würde, dass er auf Grund von Befehlen «von
oben» gehandelt hat. Solche Befehle wurden jedoch im bisherigen Verlauf der Untersuchung nicht vorgelegt.
Der Haken an der Sache: Die Anklageschrift des Bezirksanwalts stützt sich auf einen anderen Sachverhalt.
Deshalb hat Richter Fischer die Anklage «zur Überarbeitung» an den Bezirksanwalt zurückgewiesen. Ein neuer
Prozess, in dem es eng werden dürfte für den Berner Beamten - und allenfalls auch für seine Vorgesetzten -
steht an.
Verurteilt worden ist hingegen der Arzt, der behauptet hat, Khaled simuliere. Auf ihn haben die Polizisten
die Verantwortung abgeschoben, und hinter ihm haben sie sich erfolgreich versteckt. Die Taktik ist leicht
zu durchschauen:
Der Arzt hatte keinen Auftrag, Khaleds Level-3-Ausschaffung zu überwachen. Er sollte am 3. März 1999 im
Auftrag des Kantons Bern einen anderen Ausschaffungsgefangenen nach Gambia «begleiten» - was er nach dem
Tod von Khaled auch getan hat. Deshalb weigert sich der Kanton Bern, sich das Handeln des Arztes anrechnen
zu lassen. Und deshalb stand der Arzt im Regen. Er wurde wegen fahrlässiger Tötung zu fünf Monaten bedingt
verurteilt. Zudem - und das ist aussergewöhnlich - hat der Richter den Verurteilten dazu verpflichtet, der
Mutter und zwei Brüdern Khaleds eine Genugtuung von 30'000 Franken respektive je 10'000 Franken zu bezahlen.
Allerdings praktiziert der Arzt seit längerem nicht mehr und hat auch keine entsprechende Versicherung. Er
lebt von einer Rente und ist zahlungsunfähig. Deshalb werden die Angehörigen die ihnen zugesprochene
Genugtuung vorerst nicht erhalten. Unklar ist zudem, ob der Arzt gegen das Urteil rekurriert.
Wie geht es weiter? Der Kanton Bern übernimmt nach wie vor keine Verantwortung für den Tod von Khaled
Abuzarifa. Es gilt abzuwarten, ob der Chef der Berner Kantonspolizisten im nächsten Verfahren verurteilt
wird. Erst dann kann an die Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche der Familie gedacht werden. Die
Familie wird deshalb weiter warten müssen. Es ändert sich nur dann etwas, wenn der Kanton Bern sich bereit
erklärt, die Ansprüche der Familie aussergerichtlich zu befriedigen.
augenauf Zürich
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