Medienmitteilung: Strafbarkeit wegen versuchtem Landfriedensbruch oder faktisches Demonstrationsverbot?

Medienmitteilung von AntiRep Bern, mitunterzeichnet von augenauf

Vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland wurde am 26.11.2012 eine Person im Zusammenhang mit den Protesten gegen das WEF im Jahr 2012 wegen versuchten Landfriedensbruchs schuldig gesprochen. Dieses Urteil steht nicht nur im Konflikt mit strafrechtlichen Grundsätzen und (in der BV) garantierten Grundrechten, sondern zeigt einmal mehr, welche absurden Formen die Kriminalisierung politischen Protestes annehmen kann. Gegen das Urteil wurde Beschwerde eingelegt – das Obergericht des Kantons Bern wird am 20. Juni 2013 in einer öffentlichen Verhandlung sein Urteil verkünden.


Am 21. Januar 2012 sollte in Bern eine Demonstration gegen das World Economic Forum (WEF) in Davos unter dem Motto «Stop reshaping capitalism – abort it!» stattfinden, um ein Zeichen gegen die aktuelle Wirtschaftspolitik zu setzen. Wegen angeblichen Gewaltaufrufen, die im Vorfeld der Demonstration im Internet kursiert haben sollen, beschloss die Kantonspolizei Bern, diese Demonstration nicht zu dulden. Zu diesem Zweck bauten sie bereits einige Tage zuvor Warte- und Festhalteräume im Parkhaus Neufeld auf. Am Nachmittag des 21. Januars 2012 kesselte die Polizei rund 150 Personen im Bollwerk auf dem Weg zum Versammlungsort ein. Bis zum Zeitpunkt der Einkesselung war es zu keinerlei Gewalttaten gekommen. Die Einkesselung und die anschliessende Festnahme aller anwesenden rund 150 Personen erfolgten somit präventiv.

Den Tatbestand des Landfriedensbruchs erfüllt, «wer an einer öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden» (Art. 260 Abs. 1 StGB). Beim Landfriedensbruch genügt somit die blosse Teilnahme an einer solchen Zusammenrottung. Dies hat für die Polizei und Staatsanwaltschaft die mehr als praktische Folge, dass Beweisschwierigkeiten umgangen und die Teilnehmer_innen einer Demonstration quasi kollektiv verurteilen werden können. Das Regionalgericht Bern-Mittelland versucht nun den ohnehin schon weitgreifenden Artikel des Landfriedensbruchs noch weiter auszudehnen. Im vorliegenden Fall wird der beschuldigten Person konkret vorgeworfen, sie hätte an einer öffentlichen Zusammenrottung teilgenommen, von der zwar noch keine Gewalttätigkeiten ausgegangen waren – was eine Voraussetzung für die Verurteilung wegen vollendetem Landfriedensbruchs wäre – dies aber nur, dank des frühzeitigen Eingreifens der Polizeikräfte.

Woher der verurteilende Gerichtspräsident die hellseherischen Fähigkeiten hat, zu wissen, wann es bei einer Demonstration zu Gewalttätigkeiten kommen wird, wenn die Polizei nicht vorher eingreift, bleibt schleierhaft. Eine solche rein hypothetische Annahme, die objektiv nicht belegbar ist, hat mit einer strafprozessualen Beweisführung nichts gemein und missachtet strafrechtliche Grundprinzipien.
Allerdings zeigt dieser Fall einmal mehr in aller Deutlichkeit, dass es sich beim Landfriedensbruch um einen politischen Straftatbestand handelt. Mit seinen unscharfen Konturen und seinem weiten Auslegungspotential dient er in erster Linie dazu, politische Aktivist_innen strafrechtlich verfolgen und damit nicht zu Letzt auch einschüchtern zu können.

Bereits 2005 sollte eine Linksaktivistin in Zürich wegen «versuchtem Landfriedensbruch» verurteilt werden. Damals wurde die Aktivistin aber vom Bezirksgericht Zürich in diesem Anklagepunkt freigesprochen. Nun wird sich das Obergericht des Kantons Bern am 20. Juni 2013 mit der Frage befassen müssen, ob sich Demonstrant_innen strafbar machen, wenn sie an Demonstrationen teilnehmen, die wegen angeblicher Gefährlichkeit im Keim erstickt werden. Insbesondere wenn Gewalttätigkeiten (noch) ausbleiben. Wird das Urteil bestätigt, bedeutet dies, dass sich alle Teilnehmer_innen jeder Demonstration potentiell strafbar machen – da es rein theoretisch immer der Fall sein könnte, dass sich die Versammlung zu einer Zusammenrottung entwickelt und Gewalttätigkeiten begangen würden. Dies kommt einer faktischen Aufhebung der Demonstrationsfreiheit gleich.


Mitunterzeichnet von:

Unia Sektion Bern, Unia Jugend Oberwallis, Unia Jugend Berner Oberland, Unia Jugend Bern, Rote Hilfe Schweiz, Restaurant Sous le Pont, Reitschule Bern, Partei der Arbeit Bern, Menschenrechtsverein augenauf, kirchlich getragene Gassenarbeit Biel-Seeland-Jura, JA! Junge Alternative, Infoladen der Reitschule, Grüne Partei Bern – Demokratische Alternative (GPB-DA), grundrechte.ch, Demokratische Juristinnen und Juristen Schweiz (DJS), Demokratische Juristinnen und Juristen Bern (DJB), Alternative Linke Bern