Die im Film gezeigten Szenen sind eine genaue Rekonstruktion einer Ausschaffung aus der Schweiz auf der sogenannten Stufe IV. Zahlreiche Interviews und Gespräche mit Betroffenen sowie polizeiinterne Schulungsunterlagen ermöglichten eine präzise Visualisierung, angefangen beim überfallartigen Eindringen in die Zelle, über die entwürdigenden Kontrollmassnahmen, bis zur Zwangsfesselung. Damit macht augenauf öffentlich, was die Schweiz hinter verschlossenen Toren (siehe Bulletin-Nr. 65) mit Menschen macht, welche nicht freiwillig in ihr Herkunftsland zurück gehen und zwar unabhängig davon, ob diese sich physisch dagegen wehren oder sich ganz einfach nur weigern, freiwillig in das bereitstehende Flugzeug zu steigen.
Weltweit befinden sich zur Zeit über 40 Millionen Menschen unfreiwillig fern ihrer Heimat. Die Gründe sind vielschichtig: Verzweiflung, Scham, Angst, Traumatisierung, Armut, Perspektivlosigkeit.
Nur ein verschwindend kleiner Bruchteil von ihnen will in die Schweiz – und noch weniger schaffen es wirklich. Allerdings sind sie damit noch nicht in Sicherheit, denn als Flüchtling wird nur anerkannt, wer beweisen kann, dass ihm oder ihr persönlich im Herkunftsland staatliche Folter oder der Tod droht. Armut, Angst, Hunger, Verzweiflung, Ausbeutung und Meinungsterror gelten nicht als Asylgrund. Wer nicht als Flüchtling anerkannt wird, dem droht früher oder später die Wegweisung aus der Schweiz. Das sind die Menschen, welche sich ideal als Sündenböcke eignen und vor allem als Versuchskaninchen (siehe Bulletin-Nr. 62) dafür, wie viel Kälte und Brutalität gegenüber dem Einzelnen die Gesellschaft zu akzeptieren bereit ist.
Die Ausschaffung ist eine der offiziellen Massnahmen gegen Hilfesuchende und deren Vollzug kennt drei Intensitätsstufen: Level I, II oder IV. Besonders brutal ist die im Film gezeigte Level IV Ausschaffung, welche an denjenigen Menschen praktiziert wird, welche trotz monatelanger Haft (siehe Bulletin-Nr. 61), minimalstem Lebensstandard (siehe Bulletin-Nr. 68) und alltäglicher Behördenschikane nicht freiwillig in das Land zurück gehen, aus welchem sie geflohen sind. Wie es solcherart ausgeschafften Menschen nach der Rückkehr (siehe Bulletin-Nr. 64) ergeht, ist für die offizielle Schweiz und leider auch für eine wachsende Zahl von Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr von Interesse.
Am 17. März 2010 stirbt Joseph Ndukaku Chiakwa während der an ihm praktizierten Zwangsfesselung. Während er stirbt, sitzen weitere 16 genauso zur Bewegungslosigkeit gefesselte Menschen bereits seit Stunden im Flugzeug, welches sie entgegen ihrem Willen nach Lagos bringen sollte.
Joseph Chiakwa ist nicht der erste Mensch, welcher in der Schweiz während einer versuchten Zwangsausschaffung stirbt. Am 3. März 1999 erstickte der 27-jährige Palästinenser Khaled Abuzarifa an der Knebelung mittels Klebeband. Am 1. Mai 2001 erlitt Samson Chukwu während der Fesselung zur Ausschaffung nach Lagos den lagebedingten Erstickungstod.
Die Reaktion des Bundesamtes für Migration (BfM) auf den Tod von Joseph Chiakwa zeigt klar, dass weitere Tote zumindest in Kauf genommen werden. Nicht die lebensgefährlichen Zwangsausschaffungen (siehe Bulletin-Nr. 68) werden abgeschafft, sondern es wird uns suggeriert, den Flug begleitende Ärzte oder Ärztinnen könnten einen Tod während der Zwangsausschaffung verhindern. Diese Heuchelei soll nicht nur die schweizerische Bevölkerung beruhigen und das angeschlagene Prestige der so gerne human auftretenden Schweiz aufpolieren, sondern vor allem auch die Regierungen der Emigrationsländer zur Rücknahme der Zwangsausgeschafften bewegen. Vor einer Zwangsausschaffung muss nämlich das Bundesamt für Migration in Zusammenarbeit mit einer Delegation (siehe Bulletin-Nr. 62) aus dem betreffenden Land sicherstellen, dass die gefesselten Menschen im Ankunftsland einreisen „dürfen“.
Was Joseph Chiakwa betrifft, der in der Hoffnung auf eine Zukunft in die Schweiz kam und hier unter den Händen und Augen der Ausschaffungspolizisten starb, wird von den Behörden noch immer jede Verantwortung abgelehnt. Ein erstes eilfertig angefertigtes Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin Zürich (IRM) führt seinen Tod auf eine bereits bestehende, aber nicht zu diagnostizierende Vorerkrankung des Herzens zurück. Dem widerspricht der Anwalt der hinterbliebenen Angehörigen mit medizinisch fundierten Argumenten. Der untersuchende Staatsanwalt ordnet ein zweites Gutachten an, das Resultat steht noch aus.