Medienmitteilung 29. Juli 2019
augenauf Bern fordert mehr Studien zu Polizeigewalt, eine Ombudsstelle und mehr Fehlerkultur bei der Kantonspolizei Bern
Die Menschenrechtsorganisation augenauf Bern fordert mehr Studien zu unrechtmässiger Polizeigewalt in der Schweiz. Eine noch unveröffentlichte Studie der Ruhruniversität Bochum über die Situation in Deutschland, welche im September 2019 veröffentlicht werden soll, zeigt Erschreckendes: Die Dunkelziffer an unrechtmässiger Polizei ist weit höher als bisher vermutet und die Quasi-Straflosigkeit von fehlbaren Polizist*innen empörend. Die ARD-Sendung „Kontraste“ zeigt dazu heute Montag Abend eine in Kooperation mit dem „Spiegel“ entstandene Recherche zum Thema Polizeigewalt (siehe unten).
Hierzulande zeigt unter anderem das Beispiel Kantonspolizei Bern die Dringlichkeit der Verfolgung und Bekämpfung von unrechtmässiger Polizeigewalt, das Bedürfnis nach besserer Polizei-Aus- und Weiterbildung, die Notwendigkeit von mehr Zivilcourage und Selbstkritik im Polizeikorps sowie die Unumgänglichkeit der Einführung einer Ombudsstelle als unabhängige Kontrollinstanz der Polizei.

Feindbild Schwache und Unliebsame?

augenauf Bern ist besorgt über die Entwicklungen bei der Kantonspolizei Bern. Dies nicht nur bezüglich unrechtmässiger Polizeigewalt, sondern auch wegen dem manchmal vorurteilsbeladenen und unsensiblen Vorgehen gegen einzelne Bevölkerungsgruppen. Spätestens nach dem Tod von Kilian S. in einer Polizeizelle im Waisenhauspolizeiposten im Dezember 2018 und dem Schusswaffentod von Reto V. während eines Polizeieinsatzes in seinem Elternhaus am Kuhnweg im Juli 2019 sollten die Verantwortlichen der Kantonspolizei wie auch die Polizeischulen dringendst über die Bücher gehen.
 
Psychisch Kranke, Konsument*innen von legalen und illegalen Drogen, Jugendliche, dunkelhäutige Männer und Frauen sowie (filmende) Augenzeug*innen von Polizeieinsätzen oder Demonstrant*innen – diese Bevölkerungsgruppen sind nach den Beobachtungen von augenauf besonders gefährdet, Opfer oder Betroffene von übereifrigen, rassistischen, übergriffigen, gewalttätigen oder gar tödlichen Polizeieinsätzen zu werden.
 
Statt solide Polizeiarbeit „Jagdtrieb“ und Bunkermentalität
 
Gründe für solche fragwürdigen Polizeieinsätze gibt es viele: Vorurteile, Ungeduld, Überforderung, Angst, Rambomentalität, Freude am „Jagen“, Rassismus, Menschenverachtung bis hin zu bewusstem Missbrauch des Gewaltmonopols. Und viel Wegschauen. Denn das Problem liegt nicht nur bei einzelnen fehlbaren Polizist*innen, sondern auch bei deren Kolleg*innen, die diese nicht bremsen oder melden sowie der Polizeikorpsführung, die nicht selten solche Einsätze gegen aussen verteidigt und verharmlost, anstatt diese selbstkritisch analysieren und zu hinterfragen und entsprechend Lehren daraus zu ziehen.
 
Dasselbe gilt auch für die regionalen und nationalen Polizeigewerkschaften, die gerne laut und mediengerecht Strafverschärfungen für Gewalt gegen Polizeibeamt*innen fordern, aber bei Gewalt durch Polizeibeamt*innen gegen die Bevölkerung auffällig laut schweigen, anstatt eine gewisse Berufsethik hochzuhalten.
 
Auch Sicherheitspolitiker*innen in Regierungen und Parlamenten sind in den Augen von augenauf durch ihre oft polizeiunkritische Haltung mitschuldig an der Situation. Ebenso Teile der Justiz, die manchmal auf dem „blauen“ Auge blind zu sein scheinen. Und leider auch einige Medien, die Polizeiberichte und -behauptungen zu wenig kritisch übernehmen.
 
In der Hoffnung auf Verbesserungen
 
augenauf Bern wartet gespannt auf die Resultate der Polizeigewalt-Studie der Ruhruniversität Bochum und den Konsequenzen daraus, auf die Resultate allfälliger dadurch inspirierter Schweizer Studien und hofft auf eine schon lange nötige Gewerkschaft kritischer Berner Polizist*innen.
 
augenauf Bern
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WEITERFÜHRENDE LINKS ZUR POLIZEIGEWALT-STUDIE IN DEUTSCHLAND:
Unveröffentlichte Studie: 12.000 Verdachtsfälle unrechtmäßige Polizeigewalt pro Jahr
Unrechtmäßige Polizeigewalt kommt in Deutschland deutlich häufiger vor als bisher bekannt. Das ergeben Forschungen an der Universität Bochum, über die das ARD-Politikmagazin “Kontraste” und “Der Spiegel” gemeinsam berichten. Demnach gibt es jährlich mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte - und damit fünf Mal mehr als angezeigt.

Polizisten-Fehler: "Dann klärt man das besser leise intern"
Übertriebene Gewalt, tödliche Schüsse - immer wieder begehen Polizisten im Einsatz Fehler. Doch selten hat das für sie Konsequenzen.

Video: Staatsgewalt – wenn Polizisten zu Tätern werden
Der größte Teil der Polizeibeamten in Deutschland verrichtet seine Arbeit tadellos. Und doch kommt es Jahr für Jahr im Schnitt zu 2.300 Fällen rechtswidriger Polizeigewalt – von der Freiheitsberaubung bis zur tödlichen Gewalt. Die Beamten können dies nahezu straflos tun, denn nur ein winziger Teil der angezeigten Delikte landet vor Gericht. Die Opfer haben kaum eine Chance auf Wiedergutmachung. Nicht selten wird vertuscht – zum Teil bis hoch in die Politik. Der Grund: eine fatale Kombination aus mangelndem Ermittlungswillen bei der Polizei und Desinteresse bei den Staatsanwaltschaften.

Studienprojekt Ruhruniversität Bochum:
DFG-Projekt KViAPOL
Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte
Viktimisierungsprozesse, Anzeigeverhalten, Dunkelfeldstruktur