Die Nachrichten von Osman Öztürk erreichen uns aus dem Ausschaffungsknast in Moutier (BE). Hier ein zusammengefasster Einblick:

***

Hallo zusammen

Ich bin Osman Öztürk.

Mein Asylantrag wurde dreimal abgelehnt. Ich bin seit Januar in Ausschaffungshaft.

Seit dem 23. Mai befinde ich mich im Hungerstreik. Ich will mit einer verantwortlichen Person reden, die mir sagt, warum sie mich in die Türkei ausschaffen, wo ich direkt ins Gefängnis kommen werde. Die Schweiz soll keine Menschen in die Türkei abschieben, wenn klar ist, dass ihnen ein politischer Prozess droht. Ich werde nicht damit aufhören, bis ich eine Antwort bekomme!

Es geht mir einigermassen gut, abgesehen vom Schwindel, Kopfweh und dass mir ab und zu schwarz wird vor Augen. Nach drei Tagen Hungerstreik war mir schlecht und ich musste kotzen, sie haben mir Medikamente dagegen gegeben, ich vermute, dass es Vitamine waren. Ich habe nach einer Psychologin gefragt, was bisher ignoriert wurde.

***

Wenn es nach den Schweizer Behörden geht, soll Osman Öztürk schnellstmöglich in die Türkei ausgeschafft werden – in das Land, aus dem er vor vier Jahren geflohen ist, weil er physische und psychische Gewalt erlebte und sich vor einer langjährigen Haftstrafe fürchtet. Doch die Schweiz bzw. das Staatssekretariat für Migration (SEM), findet seine Gefährdung unproblematisch und einmal mehr werden Fluchtgründe als unglaubwürdig und unzureichend abgetan – und somit ein weiteres Menschleben gefährdet.

Osman Öztürk ist neunzehn Jahre alt, als er im Juni 2020 das Dorf, in dem er aufgewachsen ist, verlässt. Am 6.11.2020 erreicht Osman Öztürk die Schweiz und reicht drei Tage später sein Asylgesuch ein. Er legt in zwei Befragungen seine Asylgründe dar. Er erlebte psychische und physische Gewalt und als Kurde, der ab und zu an Veranstaltungen der HDP teilnahm, politische Verfolgung. Als 16jähriger soll er Spitzel für die türkische Behörde werden und andere kurdischen Menschen denunzieren – er lehnt ab. Ab da wurde er öffentlich angefeindet und konsequent verfolgt und erniedrigt – allen voran von einem Polizeigeneral. Einmal wurde er verhaftet, weil er an einer Hochzeit anwesend war, bei der ein kurdisches Lied gesungen wurde. In Haft erlebte er psychische und physische Gewalt durch diesen General. Die Drohungen dieses Generals bezogen sich auch immer wieder auf die verwandtschaftlichen Verhältnisse zu einem getöteten Mitglied der PKK – einem Onkel von Osman Öztürk. Das SEM will die Zusammenhänge aber nicht sehen und schreibt «Insgesamt erfüllt die von Ihnen dargelegten Strassenkontrollen und die Festnahme im Rahmen einer Razzia nicht die für Asylgewährung erforderliche Intensität.» Wie intensiv müssen Menschen den erniedrigt, bedroht und geschlagen werden, damit es für das SEM intensiv genug ist?

Weiter weist Osman die Sachbearbeiter:innen des SEMs darauf hin, dass der oben erwähnte General die Drohung aussprach «Es geht nicht mehr so lange und dann wirst du Soldat, dann musst du für alles büssen». Er berichtet von einem Cousin, der verstümmelt aus dem Militärdienst zurückkehrte und es hiess, er habe sich das selbst angetan. Auch berichtet Osman von anderen jungen kurdischen Menschen, welche im Militärdienst verschwanden und später verbreitet wurde, sie haben sich selbst umgebracht.

Osman Öztürk erhielt kurz nach seinem 20igsten Geburtstag die Aufforderung sich zur militärischen Untersuchung in der Türkei zu melden. Zu diesem Zeitpunkt befindet er sich bereits in der Schweiz und wartet auf seine zweite Befragung. Er erzählt bei dieser Befragung, dass die Polizei inzwischen gegen 20-mal bei seiner Mutter zuhause war und sich nach ihm erkundigte, um ihn fürs Militär abzuholen. Zudem gehe in seinem ehemaligen Dorf das Gerücht um, er habe sich der Guerilla angeschlossen. Inzwischen engagiert sich Osman Öztürk in der Schweiz auch im kurischen Kulturverein und veröffentlicht über seinen Instagram-Account verschiedene Videos von Aktivitäten. Jedes der acht veröffentlichten Videos wurden aber von irgendwem blockiert und gelöscht.

Osman Öztürk befürchtet, dass er nach einer möglichen Rückkehr in die Türkei als Verräter verhaftet oder sogar umgebracht würde. Aber auch das wird vom SEM lapidar abgetan, so heisst es in der Ablehnungsbegründung: «Eine bloss entfernte Möglichkeit künftiger Verfolgung genügt nicht; es müssen konkrete Indizien vorliegen...» das sei hier nicht der Fall, da er keine konkreten Beweise für die Gefährdung vorlegen könne und es sich nur um Informationen durch Dritte handelt. Arroganter und unwilliger geht es kaum. Zudem schreibt das SEM «Zum aktuellen Zeitpunkt ist offen, ob Sie überhaupt diensttauglich sind oder nicht allenfalls die Möglichkeit hätten, sich vom Wehrdienst befreien zu lassen.» Als ob dies eine Möglichkeit wäre...

Auch viele weitere vorgebrachten Gründe, wurden allesamt als unglaubwürdig oder unzureichend abgetan. So konstruierte das SEM einen negativen Asylentscheid und die Ungerechtigkeit nimmt seinen Lauf.

Osman Öztürk reichte Beschwerde gegen den Asylentscheid beim Bundesverwaltungsgericht ein. Doch auch diese wurde abgewiesen.

Im April 2022 reicht die Rechtsvertretung von Osman Öztürk erneut ein Mehrfachgesuch ein. Aus der Türkei sind neue Dokumente aufgetaucht, die eine reale Gefährdung belegen. Gegen Osman Öztürk wurde in seiner Abwesenheit inzwischen Strafbefehle und Haftbefehle erlassen. Einerseits wird er beschuldigt an einer terroristischen Organisation beteiligt zu sein, anderseits wird ihm vorgeworfen den türkischen Staatspräsidenten sowie verschiedene Staatsbeamte beleidigt zu haben. Das SEM nimmt das Mehrfachgesuch entgegen. Die Echtheit der Dokumente wird nicht bezweifelt. Osman Öztürk soll aber noch weitere Dokumente nachliefern, welche den genauen Verfahrensverlauf bzw. -stand aufzeigen. Der Anwältin in der Türkei gelingt es nicht, an weitere Dokumente der Staatsanwaltschaft zu gelangen. Das SEM zeigt kein Verständnis für die Umstände und tut dies als ungenügende Bemühung ab und verlangt einen Beleg, dass die zuständige Staatsanwaltschaft in der Türkei nicht bereit sei weitere Dokumente des Ermittlungsverfahrens herauszugeben. Die Anwältin in der Türkei teilt mit, dass die Ermittlungen Geheim geführt werden und keine Dokumente zu erhalten seien – alles ist unter Verschluss. Das SEM aber glaubt auch der Anwältin nicht, findet die Begründung nicht überzeugend und sieht die Mitwirkungspflicht von Osman Öztürk verletzt. Das SEM teilt mit, falls nicht mehr Unterlagen zu den Verfahren beschafft werden können, eigenen sich die genannten Beweismittel nicht, um eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung zu begründen – und so wurde das Gesuch im März 2023 nochmals abgelehnt – obwohl nun die im ersten Verfahren bemängelten konkreten Gefährdungsbeweise vorlagen.

Die Schweiz hat entschieden – Osman Öztürk soll ausgeschafft werden – auch wenn er an Leib und Leben gefährdet ist.

Unsere Solidarität ist mit Osman Öztürk!

Unsere Wut richtet sich gegen die menschenverachtende Asylpolitik der Schweiz und der EU, gegen ignorante und unwillige Sachbearbeiter:innen des SEMs und der Migrationsdienste!

Für Bewegungsfreiheit für Alle!

Solidarische Freund:innen

Migrant Solidarity Network

augenauf Bern